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Verico Target

Verico Target

Titel: Verico Target
Autoren: Nancy Kress
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übervoll von
dem liebenden Druck, den ihr Vater ausübte… nein, das war
ungerecht. Er übte nicht wirklich Druck auf sie aus. Er war nur
einfach ein Mann starker innerer Überzeugungen, und das war sein
gutes Recht. Hatte sie nicht gerade gesagt, daß ihr das
gefiele? Nur war momentan jede Nacht ausgefüllt mit Träumen
von Wendell Botts, von Saralinda und dem kleinen David… Acht
Monate zuvor hatten ihre Alpträume sich um Ben gedreht, und
jetzt gab es neue Hauptdarsteller darin, die sie in kalten
Schweiß gebadet aufwachen ließen. Konnte man das als
Fortschritt betrachten?
    Und unter den Bildern dieser Menschen befanden sich andere Bilder,
von denen sie unschuldigen Gemütern wie ihrem Vater kein
Sterbenswörtchen sagen konnte: Bilder der winzigen, winzigen
Nadelspitzen, so klein, daß man sie kaum sehen konnte, die zum
Fenster hereintrieben, auf Judys Haut landeten und sich durchbrannten
bis in ihr Herz. In ihres, in das ihres Vaters und in das ihrer
Mutter, und dann in jedes einzelne Herz auf der ganzen Welt, in eines
nach dem anderen. Sie konnte es ihrem Vater nicht sagen, weil sie
geschworen hatte, es nicht zu tun. Geheiminformation. Sie konnte es
nicht einmal ihrem Psychiater erzählen, weil der bloß auf
die Idee gekommen wäre, darin irgendein Freudsches Symbol zu
sehen und es völlig falsch zu interpretieren, weil er keine
Ahnung hatte. Die schwarzen Nadelspitzen waren Realität. Ben und
seine Kollegen hatten sie zu Realität werden lassen.
    Judy hatte schließlich ihre Antworten. Sie wußte
jetzt, was Ben umgebracht hatte. Und alles, was dabei herauskam,
waren weitere Fragen.
    Manche Leute gehen auch in die Religion, um das Mysterium zu
finden, Dad. Und andere, um ihm zu entkommen. Und dann gibt es noch
die armen Tröpfe, die anscheinend weder das eine noch das andere
tun können. Fast wäre sie ins Wohnzimmer
zurückgelaufen, um ihm das zu sagen, aber eigentlich hatte es
keinen Sinn; er würde ihr nur zustimmen.
    Sie öffnete die Haustür. Caroline Lampert stand auf der
Schwelle.
    Judys erster Gedanke war, daß Caroline furchtbar aussah. Sie
war in den letzten sieben Monaten erheblich gealtert. Ihre Haut wies
trockene, schuppige Flecken auf, und ihr Haar sah stumpf und
ungepflegt aus. Ben hätte sie gewiß nicht mehr haben
wollen.
    »Judy, darf ich reinkommen? Nur eine Minute. Es ist
wichtig.«
    Judy sagte nichts.
    »Es ist mir klar, daß Sie mich nicht sehen wollen. Ich
kann Ihnen… Ich verstehe das. Aber es ist sehr wichtig, und es
dauert nur eine Minute.« Leiser fügte sie hinzu:
»Bitte.«
    Judy trat zur Seite und machte die Tür ganz auf.
    Sie wollte nicht, daß ihr Vater Caroline zu Gesicht bekam.
Und auch Mutter nicht, die jeden Moment vom Supermarkt
zurückkommen mußte. Das schloß die Küche aus,
das Wohnzimmer und Bens Arbeitszimmer, zu dem man nur durch das
Wohnzimmer gelangte. Also führte sie Caroline die Treppe hoch in
ihr eigenes Arbeitszimmer und schloß die Tür.
    Hier hatten sie noch nicht angefangen zu packen oder auszumalen.
Judys halbfertiger Artikel für den Science Digest war auf
dem Computerschirm. Der Artikel handelte von einem neuen Fund
prähistorischer menschlicher Knochen, und Forschungsberichte des
Institutes für die Ursprünge des Menschen in Kalifornien
lagen auf dem Boden herum. Rote und grüne Lämpchen
glühten auf dem Drucker, dem Fax, dem Kopierer und dem
Überspannungsschutz. Sie alle sahen plötzlich viel weniger
hell und nicht mehr so sehr wie ein Stück Weihnachtsbaum aus,
als Judy das Licht einschaltete und der helle Schein den Raum
durchflutete. Sie sah davon ab, Caroline Lampert einen Stuhl
anzubieten.
    Caroline hielt ihre Handtasche verlegen an die Brust
gedrückt. »Ich wollte Ihnen nur sagen, daß wir bei
unserer Laborarbeit einen wichtigen Durchbruch erreicht haben, der
auf Bens Erkenntnissen beruht. Wir werden die Ergebnisse im New
England Journal of Medicine publizieren, und bis dahin ist
alles streng geheim und auf ein paar Leute beschränkt, aber ich
wollte, daß Sie es jetzt schon wissen.«
    Judy zwang sich zu fragen: »Was ist es?«
    »Bens Arbeit… Wie Sie wissen, zielten seine
Forschungsarbeiten an den Proteinen der Virushülle darauf ab,
sie für die Histokompatibilitätskomplexe von Krebszellen
maßzuschneidern. Und ohne ins Detail gehen zu wollen, kann ich
Ihnen sagen, daß wir eine Methode gefunden haben, die
funktioniert. Eine Abänderung an den Rezeptoren, die den
gentechnisch veränderten Zellen erlaubt, ein ganz
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