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Vergissmichnicht

Vergissmichnicht

Titel: Vergissmichnicht
Autoren: Eva-Maria Bast
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klang sehr ruhig, doch in ihrem Kopf wirbelten tausend Gedanken, in ihrem Bauch flatterten Schmetterlinge. Jetzt nur nichts Falsches sagen. Ein verkehrtes Wort, das wusste sie, konnte zur Folge haben, dass sich Elisabeth Meierle wieder verschloss wie eine Auster.
    Sie wartete auf eine Reaktion der alten Dame – doch das Schweigen breitete sich immer mehr aus, legte sich zwischen sie wie eine dicke Filzdecke.
    »Frau Meierle«, sagte Alexandra vorsichtig, »wenn Sie mir etwas erzählen möchten, dann heißt das nicht, dass das gleich in der Zeitung veröffentlicht wird. Ich höre Ihnen sehr gerne auch einfach so zu. Sie müssen keine Angst haben.«
    »Ja«, erwiderte Elisabeth Meierle und klang mit einem Mal sehr entschlossen und sehr selbstbewusst. »Ich weiß, dass ich Ihnen vertrauen kann. Sonst hätte ich nicht angerufen. Aber wenn ich Ihnen alles sage, dann sage ich es öffentlich – und dann dürfen Sie jedes Wort schreiben. Verstehen Sie? Jedes!«
    Alexandra spürte ihren Herzschlag in ihrem Hals. Komisches Gefühl, dachte sie flüchtig und sagte dann: »Soll ich zu Ihnen kommen?«
    »Nein«, antwortete Elisabeth Meierle hastig. »Man darf uns nicht zusammen sehen. Bevor ich Ihnen alles erzählt habe, ist es wichtig, dass niemand von unserer Verbindung weiß. Hören Sie? Sie dürfen es wirklich niemandem sagen. Auch Ihrem Freund nicht.«
    »Sie können sich auf mich verlassen. Wo treffen wir uns also?«
    Elisabeth Meierle schwieg eine Weile.
    »Sollen wir uns auf einer Bank am See treffen?«, schlug Alexandra vor.
    »Ja«, erklärte sich die alte Dame einverstanden. »Am Fußweg in Richtung Nußdorf gibt es eine Bank, die man zuerst nicht sieht, weil sie von Hecken umgeben ist. Kennen Sie die?«
    »Meinen Sie die Bank, die sich ziemlich am Beginn des Fußwegs befindet – nachdem die Straße aufhört?«
    »Genau.«
    »Gut«, stimmte Alexandra zu. »Wann treffen wir uns?«
    »Ich würde sagen, jetzt gleich. Ich brauche eine knappe halbe Stunde. Und Sie?«
    »Ich kann in einer halben Stunde auch da sein«, sagte Alexandra und überprüfte mit der freien Hand, ob sich Diktiergerät und Schreibmappe in ihrer Tasche befanden. Konnte gut sein, dass sie die brauchen würde.
    »Und denken Sie daran, keinem Menschen etwas davon zu sagen«, bat Elisabeth Meierle eindringlich.
    »Natürlich nicht«, versprach Alexandra. »Sie können sich wirklich auf mich verlassen.«
    Sie verabschiedeten sich und Alexandra legte auf. Mit einem Gefühl im Magen, das sie nur selten zuvor verspürt hatte. Furcht. Entsetzen. Namenlose Angst. Angst. Ja, Alexandra hatte mit einem Mal Angst.
    Kalt zog der Abend herauf. Vom See her kroch der Nebel wie ein gefräßiges Tier in die Stadt. Er legte sich über Wiesen und Steine, hüllte alles in sich ein. Eigentlich weich und friedlich. Doch Alexandra empfand den Nebel als bedrohlich.
    Die Hände tief in den Taschen ihres beigen Sommertrenchcoats vergraben, ging sie gen Osten. Beim Parkhaus Post bog sie in Richtung Uferweg ab. Durch den Nebel und die Dunkelheit war sie außerstande, etwas zu erkennen. So dichten Nebel habe ich noch nie erlebt, dachte Alexandra. Das Gefühl der namenlosen Angst wurde gewaltig, beinahe lähmend.
    Ohne lange nachzudenken, zog sie ihr Handy aus der Tasche und tippte eine Nachricht an Manfred Meinwald, ihren Chef und guten Freund, in das Telefon. ›Gleich mysteriöses Treffen am Seeufer in Richtung Nußdorf. Die erste Bank am Fußweg, unterhalb der Fünf Mühlen. Hab ein mulmiges Gefühl. Komm doch mal unauffällig vorbei, wenn du kannst.‹Alexandra drückte auf Senden und atmete tief durch.
    Sie fand den Zugang zur Bank. Der Kies knirschte unnatürlich laut unter ihren Sohlen.
    Ein Käuzchen rief klagend und eine Laterne schien gespenstisch durch den Nebel.
    »Frau Meierle?«, rief Alexandra.
    Keine Antwort.
    Noch einmal: »Frau Meierle?«
    Schweigen.
    Alexandra tastete im Nebel nach der Bank.
    Ihre Hände stießen auf etwas Weiches. Ihre Finger waren nass und klebrig.
    Und dann begann sie zu schreien.

Viertes Kapitel
    Überlingen
    Ole Strobehn saß mit seiner Flasche Bier und einer Schachtel Pizza auf dem uralten Fischgrätparkett in seiner neuen Überlinger Wohnung und starrte trübsinnig auf die unzähligen Umzugskartons ringsumher. Bis zur Decke, an der eine einsame Glühbirne hing und einen hellen Kreis auf die Tapete malte, stapelten sie sich und im Zimmer nebenan warteten zerlegte Schränke, Tische und Stühle darauf, zusammengesetzt zu werden. Die Dinge
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