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Vergissmichnicht

Vergissmichnicht

Titel: Vergissmichnicht
Autoren: Eva-Maria Bast
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aufgefunden worden. Der Mörder wurde nie gefasst und merkwürdigerweise hatte Alexandra bisher keinen Überlinger gefunden, der ihr mehr darüber sagen konnte. Und das, wo die Überlinger doch sonst alles wussten. Ihr Ehrgeiz war nun, die Geschichte für die Zeitung und ihr Buch aufzudecken. Fast hatte sie es schon aufgegeben. Und nun tat sich hier ganz unvermittelt eine Spur auf. Nur: Wohin führte sie? Sie durfte sich nicht abwimmeln, sich nicht hinauswerfen lassen. Es war klar: Würde sie dieses Haus einmal verlassen, würde sie nie wieder Einlass finden. Krampfhaft suchte sie nach einem Ansatz, nach etwas, mit dem sie die alte Dame wieder für sich einnehmen könnte. Sie musste sich ganz unbefangen zeigen. Naivität vorspielen. So tun, als hätte sie Elisabeth Meierles Reaktion nicht als merkwürdig empfunden.
    Was sie dann sagte, schien ihr zu plump, zu trivial, als dass es fruchten könnte. Aber sie wagte es trotzdem. »Ach, ich dachte mir schon, dass Sie auch nichts wissen«, sagte sie beiläufig. Es weiß ja keiner was. Ich werde die Suche wohl aufgeben müssen. Schade, ich hätte so gerne etwas darüber in meinem Buch oder in der Zeitung geschrieben. Aber man muss akzeptieren, wenn man verloren hat.« Kam es ihr nur so vor oder entspannte sich Elisabeth Meierle bei ihren Worten etwas? Krampfhaft suchte Alexandra nach einem neuen Anknüpfungspunkt für ein entspanntes Gespräch, einem Mittel, um Elisabeth Meierle vollends aus ihrer Starre zu lösen. Ihr Blick raste durchs Zimmer und blieb an zwei gerahmten Kinderzeichnungen hängen. Das eine Bild zeigte ein Strichmännchen und eine blaue Blume. Das andere ein großes, von Bäumen umstandenes Haus. Sie deutete auf die Bilder. »Die sind aber schön. Haben Sie die von Ihren Enkeln geschenkt bekommen?« Ein Lächeln, ein glückdurchtränktes, sonniges Lächeln, flog über Elisabeth Meierles Gesicht. »Ja. Die blauen Blumen sind Vergissmeinnicht. Meine Lieblingsblumen. Meine Enkelin hat mir das Bild mit einem kleinen Blumensträußchen zum Muttertag geschenkt.« Das Lächeln wurde breiter, wärmer, malte Tiefe und Innigkeit in das Gesicht der alten Dame, ließ die eben noch so fahlen Wangen erröten und brachte wieder jenen liebevollen Glanz in ihre Augen zurück, den Alexandra schon ganz am Anfang wahrgenommen hatte. Bevor sie den Namen gesagt hatte. Bevor das Schillern eingefroren und zu einem harten, kalten Leuchten geworden war. Wie Eiskristalle, die in einer sonnenbeschienenen Schneelandschaft funkelten. Alexandra legte Elisabeth Meierle vorsichtig eine Hand auf den Unterarm. »Sie haben zwei Enkel, sagen Sie?«
    »Ja«, strahlte Elisabeth Meierle stolz.
    »Und leben Ihre Enkel hier in Überlingen?«
    »Leider nein. Meine Tochter wohnt mit ihrer Familie in Villingen-Schwenningen. Aber wir besuchen uns gegenseitig häufig. Es ist ja nur eine Stunde mit dem Auto. Und die Kleinen, Tim und Nina, waren auch schon das eine oder andere Mal hier bei mir zum Übernachten. Besonders im Sommer. Sie lieben es, direkt nach dem Aufwachen in den See hüpfen zu können. In Villingen-Schwenningen gibt es ja keinen See.«
    Na also, dachte Alexandra. Habe ich sie wieder eingefangen gekriegt.
    »Sehen Sie«, sagte Elisabeth Meierle und deutete auf unzählige Fotos in prunkvollen Goldrahmen, die auf einem scheinbar nie genutzten und ausschließlich als Bilderständer dienenden Flügel standen. Kein Staubkörnchen war auf dem gewaltigen Instrument zu sehen. Alexandra fragte sich flüchtig, ob ein Dienstmädchen für diese fast schon sterile Sauberkeit verantwortlich war. Vermutlich, denn sie konnte sich die sehr wohlhabende alte Dame nicht mit einem Staubtuch in der Hand vorstellen. Außerdem hatte ihr ein Dienstmädchen die Tür geöffnet und ein anderes später Kaffee gebracht. Elisabeth Meierle beschäftigte bestimmt eine ganze Heerschar von Dienstboten.
    Die Gesichter auf den Fotos lächelten Alexandra Tuleit entgegen. Es waren die typischen Familienbilder. Aufgenommen beim Fotografen, in Pose geworfen, ein Sonntagslächeln auf den Lippen.
    Auch auf den Lippen von Elisabeth Meierle zeigte sich jenes Sonntagslächeln, als sie die perfekten, staubfreien Bilder ihrer Familie betrachtete. Ein glückliches Leben ohne den geringsten Makel, so, wie auch auf dem Flügel kein Staubkörnchen liegt, dachte Alexandra. Aber wahrscheinlich ist der Flügel nur nach außen hin schön und eigentlich grauenhaft verstimmt – wahrscheinlich kann man auf ihm nur disharmonische Melodien spielen.
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