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Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)

Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)

Titel: Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)
Autoren: Henryk M. Broder
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völkerrechtswidrige Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten ebenso wie die Weigerung der israelischen Regierung, konstruktiv an einer Zweistaatenlösung mitzuwirken, stattdessen diese zu erschweren.« Man werde es »nicht zulassen, dass Mitglieder unserer Fraktion und Partei öffentlich als Antisemiten denunziert werden, wenn sie eine solche Politik der israelischen Regierung kritisieren«.
    Die erste Erklärung war mit »Entschieden gegen Antisemitismus« überschrieben, die zweite mit »Kritik an der israelischen Regierungspolitik ist kein Antisemitismus«. Das war so ähnlich wie »Reichtum für alle!« und »Reichtum besteuern!«, in sich nicht schlüssig, aber als Vermarktungsidee nicht übel. Für jeden etwas und jedem das Seine.
    Zwischen der ersten und der zweiten Erklärung lagen schwere partei- und fraktionsinterne Kämpfe. »Andersdenkende sollten eingeschüchtert, stigmatisiert und letztlich aus der Fraktion gedrängt werden«, erzählte ein Abgeordneter der »taz«. Es sei eine »Tabugrenze im innerparteilichen Umgang überschritten worden«. Gysi sei es darum gegangen, erzählten andere, die Regierungsfähigkeit der Linkspartei nicht zu riskieren. Er soll während der Debatte mit seinem Rücktritt gedroht haben, falls die Erklärung nicht angenommen werde. Ein Dutzend Abgeordnete habe die Sitzung vor der Abstimmung verlassen, nur so sei die »Einstimmigkeit« erreicht worden. »Dieser Beschluss wurde von vielen, auch von mir, nicht mitgetragen und kam nur durch großen psychologischen Druck zustande«, berichtete Annette Groth, eine der »Überlebenden« der »Mavi Marmara«.
    Die »Antisemitismus-Debatte« war also eine Schlammschlacht darum, wer in der Linken den Kurs bestimmen sollte. Eine Partei, die nicht mal in der Lage ist, daheim den Mindestlohn durchzusetzen, erklärt die Palästina-Frage zu einem zentralen Punkt ihres Programms. Das ist schlimmer als Antisemitismus. Das ist Größenwahn. Gysi tat das, was er am besten kann: Er lavierte. Hatte er eben noch darauf bestanden, dass sich sein Laden vom Antisemitismus distanziert, so nahm er nun denselben Laden vor dem Vorwurf des Antisemitismus in Schutz: »Es geht nicht, dass behauptet wird, wer die Politik der Regierung Israels kritisiert, ist antisemitisch«, das sei »grobes Unrecht«, allerdings habe es die eine oder andere Äußerung gegeben, »die auf großes Unverständnis stößt, obwohl sie gar nicht antisemitisch gemeint ist«.Verglichen mit den Verrenkungen, die Gysi anstellte, wäre Sackhüpfen rückwärts eine olympiareife Disziplin.
    Das Schönste an der Auseinandersetzung war allerdings nicht der sportliche Eifer, sondern die Naivität, mit der sie geführt wurde. Die Abgeordneten der Linken, sonst nie um historische Analogien verlegen, merkten nicht einmal, dass sie einen Konflikt nachspielten, der im Kaiserreich und in der Weimarer Republik auf dem Programm der antisemitischen Parteien und Vereine stand, die sich gegenseitig zu überbieten versuchten und gleichzeitig einander beschuldigten, das Geschäft der Juden zu besorgen. Neu war freilich, dass die Linke über ein Phänomen diskutierte, das offenbar nur ein Phantom war. Auf die Frage eines »taz«-Redakteurs »Gibt es in der Linkspartei Antisemitismus?« antwortete Gregor Gysi mit einem klaren »Nein« und schob diese Begründung nach:»Antisemitismus bedeutet, Juden oder Jüdinnen zu benachteiligen oder Schlimmeres zu tun, weil sie Juden oder Jüdinnen sind. Das kenne ich aus unserer Partei nicht. Der Begriff wird derzeit leider inflationär verwandt.«
    Gysi, der aufgrund der Tatsache, dass er eine runde Brille trägt, bereits als Intellektueller gilt, findet immer ein Mauseloch, in dem er sich verstecken kann, bis die Katze weg ist. Nein, »Juden oder Jüdinnen« werden nicht benachteiligt, nur weil sie »Juden oder Jüdinnen« sind, es wird ihnen auch nicht »Schlimmeres« angetan. Sie werden nur, wenn sie »Israelis oder Israelinnen« sind, als Masse behandelt, über die verfügt werden kann. Möglich, dass dies per se noch kein Antisemitismus ist, aber dann ist es eben »Judenpolitik«, des deutschen Antisemiten liebstes Hobby. Und auch Gysi kann es nicht verhindern, dass ihm gelegentlich ein richtiger Gedanke entschlüpft: »Es gibt bei einigen auch in unseren Reihen zu viel Leidenschaft bei der Kritik an Israel. Die gibt es nicht bei Ägypten, nicht bei Libyen, inzwischen nicht einmal mehr bei den USA – aber sofort, wenn es um Israel und Palästina geht. Das
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