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Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)

Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)

Titel: Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)
Autoren: Henryk M. Broder
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zwanghaft, unheilbar
    Das Kainsmal, das die Deutschen tragen, hört auf den Namen Auschwitz. Täglich hören sie Stimmen aus dem Off ihrer Geschichte: »Franz-Josef, Hans-Herrmann, Karl-Otto, wo sind eure Brüder Baruch, Itzik und Schmulik?«
    Das ist extrem unfair, vor allem gegenüber den Deutschen, die nach 1933 geboren wurden und mit dem Dritten Reich so viel zu tun haben wie ich mit der Erfindung des Telegrafen. Aber Geschichte ist nicht fair. Wäre sie es, wären nicht Arno Breker, Leni Riefenstahl und Johannes Heesters uralt geworden, sondern die Eltern meiner Eltern, die in Rauch aufgegangen sind.
    Wenn ich es mir hätte aussuchen können, wäre ich lieber der Sohn holländischer Bauern oder dänischer Fischer geworden als der Nachkomme hysterischer polnischer Juden, die sich – und ihren Kindern – das Leben nach dem Überleben zur Hölle gemacht haben. Und wäre ich in einem Flüchtlingslager in Gaza aufgewachsen und hätte mir jeden Tag anhören müssen, dass die Zionisten für mein Unglück verantwortlich sind und dass »wir« demnächst in »unser« Haus in Jaffa zurückkehren werden, dann würde ich die Zionisten auch zum Teufel wünschen, je schneller, desto besser.
    Das ist der Unterschied zwischen palästinensischen und deutschen Antizionisten. Die einen haben ein nachvollziehbares Motiv, die anderen nur ein Problem, mit dem sie hadern und hadern und hadern.
    Wann immer ich über den antisemitischen Dumpfsinn stolpere, der sich als »Antizionismus« bzw. »Israelkritik« maskiert, packt mich zuerst die Wut und dann das Mitleid. Haben diese Schwachmaten wirklich nichts Besseres zu tun, als sich von morgens bis abends um das Schicksal der Palästinenser zu kümmern? Wie wäre es, wenn sie mal ein paar Boote chartern und nach Latakia schippern würden, um den Syrern zu Hilfe zu kommen? Und wie wäre es mit einer kleinen Demo vor der kubanischen oder nordkoreanischen Botschaft, um »ein Zeichen« gegen die Behandlung der politischen Gefangenen in diesen beiden Ländern zu setzen? Ich meine das nicht einmal als Alternative, sondern als Ergänzung zu den vielen Palästina-Initiativen, sozusagen als flankierende Maßnahme zur Verbesserung der moralischen Glaubwürdigkeit ihrer Protagonisten. Es dauert nicht lange, bis sich die Wut legt und das Mitleid überhandnimmt. Wie armselig, wie lächerlich! Lauter Don Quijotes, die einen Kampf gegen Windmühlen führen, den sie nicht gewinnen können. Aber sie machen unbeirrt weiter, verabschieden Resolutionen zur Nahost-Frage, fordern Israel zur Anerkennung der Hamas auf, niemals aber die Hamas, jene Paragrafen aus ihrer Charta zu streichen, die sich mit der Vernichtung von Israel beschäftigen; sie setzen sich für die »Ein-Staaten-Lösung in Palästina« ein und für die Rückkehr von vier bis sechs Millionen palästinensischer Flüchtlinge in ihre »Heimat«, eine Forderung, die sie als »revisionistisch« verurteilen würden, wenn sie von den Schlesiern oder Sudetendeutschen erhoben würde.
    Denn es geht nicht um das Recht der Israelis auf einen eigenen Staat oder das Unrecht, das den Palästinensern angetan wurde, es geht darum, ein Heilmittel für das Leiden an der eigenen Krankengeschichte zu finden. Und so entsteht ein virtuelles System der kommunizierenden Röhren, in denen statt Wasser Schuldgefühle fließen: Je mieser sich die Israelis den Palästinensern gegenüber benehmen, umso weniger schuldbeladen fühlen sich die Deutschen gegenüber den Juden. Es findet sozusagen ein Lastenausgleich unter dreien statt. Und wenn die Wirklichkeit nicht genug hergibt, dann wird eben nachgeholfen. Dann wird die »Nakba« in die Nähe des Holocaust gerückt und Gaza in das Warschauer Ghetto verlegt. Dann wird vom »Völkermord« an den Palästinensern phantasiert und von »ethnischen Säuberungen«, die Israel »araberrein« machen sollen. Und von einer »Apartheid«, die viel brutaler sei als diejenige, die in Südafrika praktiziert wurde.
    Das sind nicht nur klassische Projektionen, es sind Fluchtversuche verzweifelter Menschen. Allerdings: Mit Betonklötzen an den Füßen kann man nicht schnell laufen, man kommt überhaupt nicht von der Stelle. Und wenn sie es doch schaffen, dann passiert etwas Seltsames, das Michael Ende in seinen »Jim Knopf«-Geschichten beschrieben hat: Der »Scheinriese« wird umso größer, je weiter man sich von ihm entfernt. Auf Deutschland und die Deutschen übertragen bedeutet das: Die Last der Geschichte wird mit zunehmendem zeitlichem
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