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Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)

Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)

Titel: Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)
Autoren: Henryk M. Broder
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Abstand nicht leichter, sondern schwerer.
    Die grüne Bürgermeisterin der Stadt Aachen, Hilde Scheidt, Jahrgang 1950, hat sich im Dezember 2011 über einen Auftritt von Ralph Giordano und mir bei der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) in Aachen dermaßen aufgeregt, dass sie aus Protest aus der DIG austrat. »So etwas können wir hier in Aachen wirklich nicht gebrauchen.« Was »wir« in Aachen gebrauchen können, hängt inzwischen nicht vom Wohlwollen des zuständigen Gauleiters, sondern der grünen Bürgermeisterin ab. Und gleich zwei Juden, die in der »Palästina-Frage« anderer Meinung sind als sie, waren ihr einfach zu viel. Noch gewagter war nur noch ihre Erklärung, es müsse »möglich sein, auch die israelische Politik zu kritisieren, etwa eine Regierung, die dem israelischen Volk schadet«.
    Und weil das israelische Volk zu blöde ist, um zu erkennen, was ihm schadet, fällt diese Aufgabe der grünen Bürgermeisterin von Aachen zu, die sich ohne Weiteres zutraut, den Israelis zu sagen, was für sie gut wäre – zeitgleich mit der Erhöhung der Müllgebühren und dem Ausbau der Radwege in Aachen. Niemand lachte, keiner nahm sie zur Seite und fragte: »Sag mal, Mädel, hast du keine Angst, dass du dich übernimmst?« Denn »die israelische Politik zu kritisieren« ist nicht nur das Recht, es ist die Pflicht eines jeden Deutschen, der dafür sorgen will, dass sich die Geschichte nicht wiederholt, auch wenn vor seiner eigenen Tür die Neonazis ihre Runden drehen und der Verfassungsschutz die NPD finanziert.
    Manche gehen noch einen Schritt weiter und schlüpfen gleich in die Rolle der Juden. Rupert Neudeck, Jahrgang 1939, der mit seiner Cap-Anamur-Initiative Tausende von Vietnamesen gerettet hatte, wurde bei einer Einreise nach Israel wegen verdächtiger Stempel in seinem Pass stundenlang aufgehalten. Wieder daheim, schrieb er, er wäre in Israel »spezialbehandelt« worden. Die kreative Wortwahl lässt sich entweder mit sadomasochistischen Phantasien oder mit dem Wunsch erklären, in den Genuss einer Erfahrung zu kommen, die bislang den Juden vorbehalten war.
    Neudeck hätte auch sagen können, er sei »schikanös behandelt« worden, was dem Vorgang sicher angemessen gewesen wäre. Aber mit »spezialbehandelt« kam er so nah an »sonderbehandelt« ran wie ein Geisterbahnfahrer an den Abgrund, ohne sich wirklich einer Gefahr auszusetzen. Die Deutschen, sagen die Historiker, seien eine »verspätete Nation«. Man könnte auch sagen, sie benehmen sich wie Konvertiten, die alles besser machen wollen als diejenigen, die schon länger »dazugehören«. Sie sind die besseren Juden, die besseren Demokraten, die besseren Pazifisten und natürlich die besseren Europäer. »Es wäre für Deutschland besser, mit den Partnern in Europa das Falsche zu tun, als allein auf dem Richtigen zu beharren«, hat Jakob Augstein zur Eurokrise auf »Spiegel Online« geschrieben.
    Anfang Dezember 2011 wurde auf dem Parteitag der SPD in Berlin der 92-jährige Altkanzler Helmut Schmidt mit Standing Ovations für eine Rede gefeiert, in der er der Kanzlerin die Leviten gelesen und sie zu Bescheidenheit und Zurückhaltung aufgerufen hatte. Deutschland solle auf keinen Fall eine Führungsrolle in Europa anstreben, das wäre eine »schädliche deutsch-nationale Kraftmeierei«. Er warnte auch vor Besserwisserei und Rechthaberei, derselbe Helmut Schmidt, der erst vor Kurzem die Amerikaner dafür kritisiert hatte, dass sie Osama bin Laden nicht festgenommen, sondern »auf dem Boden des souveränen Staates Pakistan« getötet hatten. Das sei »ganz eindeutig ein Verstoß gegen das geltende Völkerrecht« gewesen. Schmidt changierte, nur vom Jubel der Delegierten unterbrochen, vom Oberlehrer zum Untertan, der darum bittet, an die Kette gelegt zu werden. »Die sehr große und sehr leistungsfähige Bundesrepublik Deutschland braucht – auch zum Schutze vor uns selbst! – die Einbettung in die europäische Integration.«
    Dass die Deutschen sich selber nicht über den Weg trauen, könnte man als eine sympathische Geste der Demut missverstehen, wenn sie nicht zugleich zwei Ausnahmen machen würden – ausgerechnet den beiden Kollektiven gegenüber, denen sie schicksalhaft verbunden sind. Den Amerikanern werden sie nie verzeihen, dass sie sich von Kaugummi kauenden Barbaren befreien lassen mussten, und den Juden werden sie Auschwitz immer übel nehmen.
    Die Deutschen leiden an Hitler wie andere an Schuppenflechte. Aus dem Versuch, sich gegen
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