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Vergessene Welt

Vergessene Welt

Titel: Vergessene Welt
Autoren: Michael Crichton
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einer der brillantesten und zugleich unbequemsten Männer der Wissenschaft.
Die beiden waren in Yale Kommilitonen gewesen, doch dann hatte Levine den
Doktorandenkurs verlassen, um seinen Abschluß in Vergleichender Zoologie zu machen.
Levine meinte damals, er habe kein Interesse an der Art zeitgenössischer
Freilandforschung, die Guitierrez so faszinierte. Mit für ihn typischer Verächtlichkeit
hatte er Guitierrez’ Arbeit einmal als »weltweites Papageienscheißesammeln«
tituliert.
    Im Gegensatz zu
seinem Kommilitonen fühlte sich der blitzgescheite und überaus ehrgeizige
Levine zur Vergangenheit hingezogen, zu der Welt, die es nicht mehr gab. Und
diese Welt studierte er mit obsessiver Intensität. Er war berühmt für sein fotografisches
Gedächtnis, seine Arroganz, seine scharfe Zunge und die unverhüllte Freude, mit
der er die Fehler seiner Kollegen herausstellte. Wie ein Kollege einmal
bemerkte: »Levine vergißt nie einen Schnitzer, und er sorgt dafür, daß man
selber ihn auch nicht vergißt.«
    Die
Freilandforscher mochten Levine nicht, und er erwiderte diese Abneigung. Er war
im Grunde seines Herzens ein Mann der Details, ein Archivar des Tierlebens, und
er war am glücklichsten, wenn er in Museumssammlungen stöbern, Gattungen neu
ordnen oder Ausstellungsskelette neu zusammensetzen konnte. Er hatte etwas
gegen den Schmutz und die Unbequemlichkeit des Lebens in der Natur. Hätte er
die Wahl, würde er das Museum nie verlassen.
    Aber es war sein
Schicksal, in einer Zeit zu leben, in der die größten Entdeckungen in der Geschichte
der Paläontologie gemacht wurden. In den vergangenen 20 Jahren hatte sich die
Anzahl der bekannten Dinosaurierarten verdoppelt, und zur Zeit wurde etwa alle
sieben Wochen eine neue Art beschrieben. So zwang sein weltweiter Ruf ihn dazu,
beständig zu reisen, neue Funde zu besichtigen und sein Fachwissen Forschern
zur Verfügung zu stellen, die nur sehr ungern zugaben, daß sie seine Hilfe
nötig hatten.
    »Woher kommst du
gerade?« fragte ihn Guitierrez.
    »Aus der
Mongolei«, sagte Levine. »Ich war bei den Flammenden Klippen in der Wüste Gobi,
drei Stunden von Ulan Bator entfernt.«
    »Oh. Und was
gibt es dort?«
    »John Roxton
macht dort eine Ausgrabung. Er hat ein unvollständiges Skelett gefunden, von
dem er glaubt, daß es sich möglicherweise um eine neue Velociraptorenart handelt,
und er wollte, daß ich es mir ansehe.«
    »Und?«
    Levine zuckte
die Achseln. »Roxton hat doch von Anatomie keine Ahnung. Er ist ein begeisterter
Geldbeschaffer, aber wenn er wirklich mal was findet, weiß er nicht, was er
damit anfangen soll.«
    »Hast du ihm das
gesagt?«
    »Warum nicht? Es
ist die Wahrheit.«
    »Und das
Skelett?«
    »Das Skelett war
überhaupt kein Raptor«, erwiderte Levine. »Der Metatarsus ist zu lang, das Os
pubis ist zu ventral, das Os ischii hat keinen richtigen Obturator, und die
langen Knochen sind alle viel zu dünn. Und der Schädel …« Er verdrehte die
Augen. »Das Os palatinum ist zu dick, die Antorbitalfenster zu rostral, der
Distalkamm zu klein – und so weiter und so fort. Ein Klauenbein ist kaum vorhanden.
Na ja. Ich weiß nicht, was Roxton sich da gedacht hat. Ich vermute, es handelt
sich um eine Subspezies des Troodon, aber ich bin mir noch nicht ganz sicher.«
    »Troodon?«
fragte Guitierrez.
    »Ein kleiner
Fleischfresser der Kreidezeit – zwei Meter von Pes zu Acetabulum. Eigentlich
ein ziemlich gewöhnlicher Theropode. Und Roxtons Fund ist nicht einmal ein besonders
interessantes Exemplar. Zu dem Material gehört ein integumentales Artefakt –
ein Abdruck der Dinosaurierhaut. Das ist an sich nichts Besonderes. Bis jetzt
hat man etwa ein Dutzend guter Hautabdrücke gefunden, vorwiegend von
Hadrosauridae. Aber keinen wie diesen. Denn mir war sofort klar, daß die Haut
einige sehr ungewöhnliche Merkmale aufwies, die man bis jetzt bei Dinosauriern
nicht vermutet hatte –«
    »Señores«,
meldete sich der Pilot. »Juan Fernández Bay liegt vor uns.«
    »Erst umkreisen,
geht das?« fragte Levine.
    Levine sah zum
Fenster hinaus, seine Miene war wieder konzentriert, das Gespräch vergessen.
Sie flogen über einen Dschungel, der sich bis zum Horizont über hügeliges Land
erstreckte. Der Hubschrauber flog eine Kurve und kreiste über dem Strand.
    »Dort ist es«,
sagte Guitierrez und deutete nach unten.
     
    Der Strand war eine saubere, weiße
Sichel, die vollkommen verlassen im Nachmittagslicht lag. Am Südende sahen sie
eine einzelne dunkle Masse im
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