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Vergessene Tränen im Regenwetter

Vergessene Tränen im Regenwetter

Titel: Vergessene Tränen im Regenwetter
Autoren: Stephanie Berth-Escriva
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nahm sie es auf und antwortete. Es war ihr Mann, der fragte, warum sie noch nicht zu Hause sei.
"Ich bin mit Sonia nach der Arbeit ein Glas trinken gegangen", gab sie zur Erklärung. Alexander hob kurz seine rechte Augenbraue an und trank einen Schluck. Nathalie versprach ihren Gatten, nicht zu spät nach Hause zu kommen und verabschiedete sich.
"Entschuldige, ich bitte dich, magst du mir noch ein wenig von deinen Abenteuern erzählen?"
"Sind wir jetzt per du?", fragte Alexander, woraufhin sie rot wurde, was im Dämmerlicht der Bar glücklicherweise unterging.

Als ihr Begleiter irgendwann stiller wurde, stellten die beide fest, dass der Regen nachgelassen hatte.
"Ich denke, es ist Zeit für mich zu gehen ...", murmelte sie, dabei brauste in ihrem Bauch ein regelrechter Wirbelsturm. Sie gab sich die größte Mühe, ihre Unruhe zu verbergen. Sie war Nathalie, sie hatte ihr Leben im Griff. Neben Alexander auf dem Bürgersteig zur Metro zu gehen, war leichter als gedacht. Der Asphalt glänzte nass, die Luft duftete erfrischt vom ausgelassenen Regen, die Stadt amtete auf.
Einmal an der Metrostation angelangt, stellte sie sich so elegant wie möglich vor ihm, um sich zu verabschieden.
"Ich wollte mich bedanken ...", begann sie und gab ihn selbstverständlich, so wie es üblich war, einen leichten Kuss auf die linke Wange, einen auf die rechte, dabei war er viel zu dicht in der Mitte ihres Gesichts geblieben. Er irritierte sie, doch er roch so unglaublich gut, sie wich nicht zurück, keinen Millimeter, ließ sich einfach in den Arm nehmen und küssen. War sie noch bei Sinnen? Er küsste wahnsinnig gut! Seine vollen Lippen schmiegten sich weich und leidenschaftlich an ihren Mund. Sie erwiderte seinen Ansturm, als hätte sie ihn erwartet, darauf gehofft, sich danach verzehrt. Sie liebte es, diese fremden, starken Arme um ihren Körper zu fühlen. Er küsste wie ein Verdurstender, der endlich klares Wasser trinken durfte. Sein berauschender Atem ließ den Rest der Welt stillstehen. Zwischen ihnen war alles so klar und unmissverständlich, wie es seit dem Ursprung jeder Menschengeschichte sein konnte.
"Ich habe zu danken, dafür, dass du mir zugehört hast!", hauchte er zwischen ihre Lippen. Nathalie schluckte und versuchte sich zu sammeln. Langsam machte sie ihre Augen auf und blickte in sein nahes Gesicht. Er war so schön, viel zu schön. Sie nickte stumm.
"Bis morgen ..."
"Ja, bis morgen, komm gut nach Haus!"
Sanft strich er über ihre Wange, lächelte sie Mut machend an und löste sich von ihr. Wie in einem Traum, völlig aufgelöst eilte sie die Treppen hinunter in den Metroschacht und konnte es sich nicht verkneifen, noch einmal zum ihm hinaufzuschauen. Sie sah ihn, einen Mann, einen Helden aus einer anderen Welt.

Nathalie war eine Frau, die sich in allen möglichen Situationen unter Kontrolle hatte und es bestens verstand, ihre wahren Gedanken und Gefühle hinter einem Schauspiel zu verbergen, was von ihr erwartet wurde. Allerdings lief sie dabei die Gefahr, ihre eigenen Geistesgüter einmal nicht mehr wieder zu erkennen.
Wie sie Alexanders vornehme Diskretion verabscheute! Ganze drei Tage hielt sie es aus, ihn wie sonst an der Arbeit zu behandeln, bis sie sich an einem Nachmittag in den Pausenraum im Erdgeschoss traute, um sich dort einen Kaffee zu nehmen. Er nutzte die Gelegenheit, zu ihr zu kommen und sie zu begrüßen. Dabei erntete er einen finsteren Blick, sie verrührte hastig den Zucker im warmen Getränk.
"Warum bist du so stinkig? Wir können Freunde sein..." Sie ließ ihn seinen Satz nicht zu Ende sprechen.
"Wer glaubt denn noch an den Weihnachtsmann? Eine Freundschaft zwischen Mann und Frau ist völlig ausgeschlossen!", fauchte sie ihn an und warf das Plastikstäbchen vehement in den Mülleimer.
"Bist du dieser Meinung?", fragte er perplex.
"Allerdings! Was fällt dir ein? Du tust so, als wäre nichts geschehen, du Feigling! Und du erzählst mir jetzt etwas von Freundschaft? Ich habe die Nase gestrichen voll von all diesen Lügengeschichten, die unsereins tagein, tagaus artig aussprechen und denken darf! Nichts ist echt! Alles ist Lüge! Die eingefangenen Momente auf deinen vergessenen Fotos haben vielleicht noch einen Funken Wahrheit in sich. Doch was tun wir hier? Freunde sein! Wahrscheinlich! Und auch noch lächeln, wenn dich andere anhimmeln! Ich verabscheue das, ich hasse es ..." In ihrem Wortschwall wollte sie den Kaffe abstellen, wobei sie die Hälfte davon auf den weißen Tisch verschüttet.
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