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Vergessene Tränen im Regenwetter

Vergessene Tränen im Regenwetter

Titel: Vergessene Tränen im Regenwetter
Autoren: Stephanie Berth-Escriva
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die ganze Welt bereist hatte. So unauffällig wie möglich verließ sie diesen Raum und ließ die Meute unter sich. Sie konnte so einen offensichtlichen Frauenschwarm nicht ausstehen.

Was Nathalie in den folgenden Tagen vielmehr beunruhigte, war die Tatsache zu beobachten, wie sie ihre Art und Weise, sich zu schminken, veränderte. Sie betonte ihr hellblauen Augen, umrahmte sie mit dunklen Farben, damit sie noch deutlicher hervortraten. Insgeheim beschimpfte sie sich in Gedanken, wenn sie morgens andere Unterwäsche und Kleidung aussuchte, um ihre schlanke Figur und ihr Dekolleté zu betonen. Sie ertappte sich dabei, öfter als unbedingt nötig in der Boutique zu sein, Michel in Gespräche zu verwickeln und so unauffällig wie möglich das Verhalten der Verkäuferinnen zu beobachten. Diese hirnlosen Geschöpfe gingen sehr unbefangenen mit ihrem Kollegen Alexander um. Gegen diese Schar hübscher Dinger hatte sie keine Chance. Was wollte sie auch? Sie war mit einem Mann verheiratet, um die sie beneidet wurde! Wie töricht von ihr, die Aufmerksamkeit eines obdachlosen Türstehers auf sich ziehen zu wollen!

Eines Nachmittags täuschte Nathalie eine Panne der Kaffeemaschine auf ihrer Etage vor, ein guter Grund in den Aufenthaltsraum des Verkaufspersonals zu gehen. Zu diesem Zeitpunkt standen ihnen Pausen zu, beinahe das gesamte Team hatte sich um den kleinen Tisch versammelt. Sie blickten schuldbewusst auf, als Nathalie plötzlich erschien.
"Was macht ihr da? Könnt ihr eure Pausen nicht einer nach dem anderen nehmen?", fragte sie mit trockener Stimme, denn selbst Alexander war anwesend.
"Entschuldige Nathalie, Michel ruft uns an, wenn Kunden kommen. Schauen Sie sich doch die Fotos von Alex an! Sind die nicht wundervoll?", säuselte eine der Verkäuferinnen mit englischem Akzent. Nathalie runzelte die Stirn und trat mit ihrem Kaffee näher. Zwei ordentliche Bücher mit eindrucksstarken Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus Afrika lagen aufgeschlagen auf dem Tisch. Überrascht ließ sie sich die Bilder zeigen, die Mädels erklärten ihr, was sie selbst eben erst entdeckt hatten. Imposante Bilder mit Menschen und Landschaften von bewegender Tiefe und Sinnlichkeit.
"Die sind für eine Ausstellung wert ...", sprach Nathalie ergriffen und wagte es, in Alexanders Gesicht zu blicken.
Er lächelte leise, blieb aber ernst.
"Ein Teil meiner Arbeit, ich hatte meinen Kollegen versprochen, es ihnen zu zeigen ... entschuldigen Sie mich! Es ist Zeit, den Dienst wieder aufzunehmen ..."
Nathalies Herz schlug ihr bis zum Hals, unverständlich blickte sie ihm nach, ließ sich weiter die Fotos zeigen. Einige der Verkäuferinnen verschwanden aus dem Raum, andere blieben neben ihr und bewunderten die Bilder, die von einer anderen Welt erzählten, ohne zu klagen, stolz und frei.

Als Nathalie durch den Laden ging, strotzte sie auf einmal die lackierte, synthetische Scheinwelt an, für die sie ihr Leben hergab. Sogar die angeblich supercoole Musik aus den verborgenen Lautsprechern klang nach Plastik. Alexander stand aufrecht in seinem schwarzen Anzug neben der Tür, öffnete sie, wenn Kunden kamen, und grüßte höflich. Er war ein Fremder hier, er hatte sich an einem Ort verloren, der ihm nichts anhaben konnte.

Der Herbst hatte sich über die Stadt gelegt und mit ihm dichte Regenschauer. Es war an diesem Abend wieder verdammt spät geworden, Nathalie stand unter dem Dach des alten Hauses, dort wo der Personaleingang verborgen war und beobachtete den abscheulichen Regen. In der Hand hielt sie ihr Telefon, an ihren Regenschirm hatte sie nicht gedacht, bis zu Metro brauchte sie in ihren Schuhen gewiss zehn Minuten. Sie war hungrig und müde. So etwas konnte auch nur ihr passieren. Die Scheinwerfer des stauenden Autoverkehrs blendeten sie durch den nervtötenden Regen.
"Guten Abend Nathalie! Worauf warten Sie?" Sie schrak zusammen wie eine verscheuchte Katze, denn sie hatte Alexander nicht kommen hören.
"Oh, die Taxifahrer streiken heute. Das erfuhr ich gerade am Telefon. Ich habe keine anderen Schuhe in meinem Büro und werde diese hier ruinieren ... aber was sage ich denn ..." Ihr war klar, wie lächerlich sie diesem Mann gegenüber erscheinen mochte mit ihren blöden Schuhen. Er, der Schwarzafrika bereiste, um Fotos zu machen.
"Kann niemand Sie abholen?"
Sie schüttelte verneinend den Kopf. Ihr Mann hatte in der letzten Zeit den Kopf voll mit komplizierten Akten, wahrscheinlich war der noch in der Kanzlei.
Alexander presst kurz die Lippen aufeinander,
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