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Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch
Autoren: Christine Lehmann
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überflüssig.
    Mittlerweile besitze ich ein Handy und erschließe mir die Daten der Welt übers Internet. Aber die Grundfragen ändern sich nicht. Im Stuttgarter Anzeiger lädt der Damenstammtisch der CDU zu einer zwanglosen Diskussion in die Weinstube Trollinger am Feuersee ein: »Liegt es wirklich an den Frauen, dass nicht genug Kinder geboren werden?« Und gerade vorhin habe ich in der Zeitung noch ein Fragezeichen gelesen: »Mord am Feuersee nach Streit unter Alkoholikern?« Bezieht sich das Fragezeichen auf einen Mord oder auf den Streit unter Alkoholikern? Beides schlösse sich aus. Im Falle eines Streits über die Frage, wer zur Tanke unter der Paulinenbrücke gehen musste, um Alk zu besorgen, wäre es doch wohl nur Totschlag gewesen. Die Leiche allerdings ist eine Tatsache. Sie lag in ihrem Blut an der Toilettenanlage am Feuersee neben der Johanneskirche unweit des Männerwohnheims der Heilsarmee. Neben dem Sterbenden ausgeharrt hat der Zimmernachbar aus dem Wohnheim. Zugeschaut hat er die halbe Nacht, wie dem anderen das Blut aus dem Hals lief und einen Teich bildete, in dem, den Enten gleich, die braunen Blätter, die der Herbstwind pflückte, landeten mit ihren hochgebürzelten Stielen. »Blattenten«, sagt er zur Polizei. Alkoholikerpoesie. Aber erinnern kann er sich an nichts.
    Aber ich! Ich erinnere mich.
    Dort hat es angefangen. Mit dem Toten am Feuersee. In einem früheren Jahrhundert, mitten in den Neunzigern, als das Klonschaf Dolly geboren und der Rinderwahnsinn auf einmal für den Menschen gefährlich wurde, als Lady Di noch lebte, bevor Har ry Potter zaubern lernte und als der Zeppelin am Bodensee wieder zu fliegen begann. In den Jahren der Leggins und Karottenhosen, kurz vor der Wiedergeburt der Siebziger und dem Abba-Mamma-Mia-Wahnsinn im Radio und als wir noch gar keine Ahnung vom Euro hatten.
    Aber das Frauencafé Sarah , das gibt es tatsächlich immer noch mit Tanzfrauentee, feministischem Diskurs und Aktzeichnen nur für Frauen. Ich müsste wirklich mal wieder hingehen. Ob es auch noch so aussieht wie damals vor zehn Jahren, als meine Geschichte begann. Und zwar so:



1
     
    Die Frau beäugte mich. »Hasch’n Typ?«
    Ich grinste vage. Burschen mit leerem Hosenstall waren nicht unbedingt mein Typ. Ich bevorzugte die kühle, blonde Weiblichkeit mit vollem Hintern, Wasserballonbrüsten und feuchter Verheißung.
    »Ich heiße Gabi«, sagte der Bursche.
    »Lisa«, sagte ich.
    Gabi stand an der Theke des Frauenkulturzentrums Sarah , trug Weste, Hemd und Jeans, hielt die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger, die Glut in den Handteller gekehrt, und schob lässig die Hüfte vor. Sie hatte schwarze Augen hinter einer Brille, aber es war kein Blick von der glühenden exotischen Sorte, sondern er war hart, direkt und misstrauisch gegen sich selbst.
    Auf dem Lesbenmarkt entdeckte ich damals gerade meinen Wert wieder. Mit meinem schwarz gefärbten und gegelten Haarkamm, den lila geschminkten Augen und der naturbelassenen Narbe, die mein Gesicht von der Nasenwurzel bis zum Mundwinkel furchte, konnte ich immerhin als harter Bursche durchgehen.
    Gabi steckte sich bauarbeitermäßig die Kippe zwischen die Lippen. »Bisch noch Hetero?«
    Ich schätzte sie auf zwanzig. Das schwarzbraune Haar trug sie kurz geschnitten. Der männliche Habitus stand, fand ich, eigentlich nur dünnen Frauen ohne Hüften und Titten. Gabi war jedoch stabil gebaut, vermutlich nicht unintelligent und darum rundherum disharmonisch. Aber im Sarah konnte frau es sich durchaus erlauben, die maskuline Wirkung voll auszutesten. Warum auch nicht? Es gab auch Heterofrauen, die hierher kamen, um ihre weibliche Attraktivität zu testen. Sie machten sich vorher stundenlang zurecht, nur um sich hinterher darüber zu beschweren, dass frau nicht mal in einem Frauencafé in Ruhe gelassen wurde.
    »Ich hatte mein Coming-out vor drei Jahren«, erklärte sie. »Du kommsch au no auf den Trichter.«
    Ich lächelte. Das hatte ich ein paar Jahre zuvor erst wieder lernen müssen, nachdem eine berstende Windschutzscheibe meine mimischen Weichteile zerstört hatte. Ich hatte vor dem Spiegel ein schiefes Seeräubergrinsen eingeübt. Gabi musste im Herzen ein Mädchen sein, wenn sie das interessant fand. Sie streichelte mir die Backe. »Hasch Angst, sag mal?«
    Gott ja, ich war fast zehn Jahre älter als sie. Wie stellte sie sich das wohl vor? Alte Lesben beherrschten ausgefeilte Techniken, aber die Jungen verließen sich manchmal gern auf die
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