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Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch
Autoren: Christine Lehmann
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mir zu haben. Ich war stets versucht, das schmale Geschöpf in den Arm zu nehmen. Es musste sich anfühlen wie ein Vogel in der Hand. Um der Versuchung aus dem Weg zu gehen, zog ich mich an ein leeres Tischchen in der Ecke hinter der Bar zurück.
    Gabi kam mir nach – »Darf ich?« – und ließ sich auf den Bistrostuhl fallen. »Du bist doch nicht beleidigt? Ich bin immer so direkt. Das ist vielleicht ein Fehler.«
    »Nur wenn man es selber nicht verträgt«, bemerkte ich.
    Gabi äugte und überlegte. »Darf ich dich mal was fragen?«
    »Wenn es sein muss.«
    »Für wen hältst du mich? Ich meine, wer bin ich, deiner Meinung nach?«
    »Ein Mädchen, das nicht weiß, welche Rolle es spielen soll.«
    Gabi schluckte. »Glaubst du, dass ich nicht normal bin?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Welpen bespringen sich im Spiel, egal welches Geschlecht sie haben. Aber irgendwann entscheiden sie sich für eine Rolle in der Horde. Deckrüde, Leithündin oder Underdog.«
    »Und was bist du?«
    »Outsider.«
    Gabi starrte auf meine Narbe. »Wer hat dich so …«
    »Vorsicht«, sagte ich, »ich beiße, wenn mir jemand von dieser Seite kommt.«
    »Okay, okay.« Gabi hob die Hände. »Ich glaube, das wird nichts mit uns, nicht wahr? Schade. Aber kann man wohl nichts machen.« Sie schaute auf die Uhr, erschrak und stand auf. Sie bezahlte an der Theke, nahm einen Lederblouson vom Kleiderhaken und verließ eilig das Café. Es war elf Uhr.
    Ich wurde das Gefühl nicht los, dass es nicht an mir gelegen hatte. Sie hatte ein Schauwerben abgezogen, hinter dem etwas anderes steckte als das, wonach es ausgesehen hatte.
     

2
     
    Martha brachte den Kaffee. Die ungeheuer runde Sekretärin der Amazone machte den besten Kaffee, den ich kannte. Und sie ließ es sich nicht nehmen, ihn morgens auf die Zimmer zu verteilen und einer jeden Redakteurin ein paar selbst gebackene Plätzchen auf einer Untertasse dazuzustellen. Der stets aufwändige Dank war ein Ritual, das Marthas Hausmuttergesicht zum Lächeln brachte. Sie ging so leise, wie sie kam, umwallt von gemusterten Röcken und Blusen, mit denen sie das Unglück ihres Körpers auftrug.
    Ich legte die Füße auf den Schreibtisch und las den Stuttgarter Anzeiger . Im Lokalteil fand ich eine kleine Notiz. Ein Toter in den Grünanlagen an der Johanneskirche. Ein Junge Anfang zwanzig, Jeansanzug, Identität ungeklärt. Die Polizei ermittelte zunächst im Drogen- und Obdachlosenmilieu. Nichts Wichtiges. Es war ja keine Frau gewesen, die tot in einer Grünanlage liegen geblieben war. Allerdings: Wo gab es an der Johanneskirche Grünanlagen? Dort gab es den Feuersee, etwas Gebüsch, einen U-Bahn-Eingang, die neugotische Kirche und öffentliche Toiletten, in denen die Penner hausten. Außerdem war es nicht weit weg vom Sarah.
    Louise war abwesend. Ob sie auf Reisen war oder in ihrem Monrepos auf der Schwäbischen Alb weilte, das wusste vermutlich nur Martha. Jedenfalls war es angenehm ruhig. Ich süffelte den Kaffee und knabberte die Plätzchen. Die Kekse waren goldgelb und von geheimnisvoll untergründig würzigem Geschmack. Niemand kannte sich wie Martha in der Alchemie der Zubereitung von Lebensmitteln aus.
    Von meinem Fenster aus hatte ich Einblick in das Einkaufsgetriebe der Eberhardstraße. Parkplatzkampf im Schacht zwischen Fünfzigerjahrebauten und dem wuchtigen Schwabenzentrum. Trachtenboutiquen, Sondergrößen ab 42, Juweliere, Glas. Frauen der Größen 36 bis 38 in Kostümen und Wintermänteln der Saison sichteten Pullover, Seidenoveralls und Blusen in den Ständen vor den Boutiquetüren. Ich hörte, dass es klingelte. Martha würde öffnen. Ich gab meiner Bürotür einen Stoß. Fremde Menschen am Morgen waren nicht mein Fall. Die Tür schwang wie üblich zwar entschlossen auf den Rahmen zu, wurde aber von einem Hubbel im Teppich kurz vor der Falle gestoppt. In meinem Hirn gab es den üblichen Klick von Frust. Seit ich hier arbeitete, wünschte ich mir knallende Türen.
    Im selben Moment ging die Tür wieder auf. Marthas sorgenvolles Gesicht erschien. Hinter ihr drängelte, jegliche Körperdistanz missachtend, Gabi. Martha schien es zu missbilligen, konnte aber nichts mehr ändern.
    Es war noch nie vorgekommen, dass mir eine Lesbe, die sich in mich vergafft hatte, bis ins Büro nachgestiegen war. Das versprach unangenehm zu werden. Ich flegelte.
    Gabi sah ganz anders aus als vor zwei Tagen. Schwer zu sagen warum. Sie trug immer noch diese schwarzen Jeans, dazu diesmal einen hellblauen Sweater,
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