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Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch
Autoren: Christine Lehmann
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»schlage ich Ihnen Folgendes vor: Ich recherchiere ein bisschen für Sie und wir treffen uns heute Abend.«
    Das hatte er sich so gedacht. Aber ich mäßigte meine Aversionen. Ich gehörte nicht zu den Journalistinnen, die ihre Geschichten auf der Straße suchten oder herbeirecherchierten. Ich hatte meinen Bau in den Räumen der Amazone . Was sich nicht vom Schreibtisch aus machen ließ, machte ich nicht. Mein Ansehen war das Ergebnis meiner Faulheit. Ich zog es vor, mir etwas auszudenken, als es zu erfragen. Ein Artikel über Witwen, für den ich sämtliche Interviewpartnerinnen erfunden hatte beim Versuch, meine eigenen Gefühle nach dem Tod meines Ehemannes zu erledigen, hatte vor zwei Jahren Louises Neugierde geweckt und mir den Eintritt in die Redaktion verschafft. Leider hatte ich nun Gabi und Zilla irgendetwas versprochen, was nach Hilfe klang. Engagement hatte seinen Preis.
    »Also gut. Wo treffen wir uns?«
    »Da lasse ich Ihnen völlig freie Hand.«
    Ich schlug den Tauben Spitz vor. Im Bohnenviertel kannte sich einer wie Krk aus.
    Martha streckte den Kopf zur Tür herein. »Übrigens, Loui se hat angerufen. Sie kommt morgen.«
    Das bedeutete Konferenzen, Wiederaufwärmung längst abgegessener Themen, Rauswürfe bereitliegender Artikel, Umschmiss des ganzen Heftes, neuer Leitartikel, neuer Kommentar von Louise, hektische Materialbeschaffung aus Archiven, schweinische Arbeit und Überstunden. Meistens waren es die Artikel aus meiner Redaktion, die plötzlich überflüssig wurden, denn ich war für die Kultur zuständig und dafür, meine Autorinnen mit plausiblen Aktualitätsargumenten zu vertrösten. Die Grafikerin Brigitte bekam die Existenzkrise, die Cartoonistin Bettina nagte am Bleistift und übersetzte den Unmut in Bilder und unsere stellvertretende Chefin Marie behielt die Nerven.
    Ohne Frage brauchte die Amazone Louise. Erstens war es ihr Blatt, zweitens ihr Geld. Aber wenn Louise fern blieb, entweder auf Urlaub, auf Lesereise, zu Fernsehterminen oder wegen dringend nötiger Depressionsphasen auf ihrem Monre pos, dann blühte die Redaktion auf wie ein Wüstengarten un ter Bewässerung. Die zarte Helga schrieb böse Glossen, Martha buk wunderbare Plätzchen und kochte herrlichen Kaffee, Brigitte bastelte Layouts, bei denen man sich der Banalität der eigenen Texte schämte, und Marie verfasste kühle, sogar von der Männerpresse beachtete Reportagen über Frauen in Politik und Wirtschaft, die Rechenkünste und das Alltagsmanagement von allein erziehenden Müttern und sexistische Modefotografie.
    Ich dagegen arbeitete weder besser noch schlechter, wenn Louise da war, denn ich arbeitete so wenig wie möglich. Ich hatte mich vor zwei Jahren auf gut Glück als Sekretärin bei der Amazone beworben – Fremdsprachenkenntnisse vorhanden – und war von Louise empfangen worden. Aus irgendeinem Grund hatte sie sich zu meiner Mentorin aufgeworfen, ohne mich ins Bett gezogen zu haben. Seitdem waren gerade einmal drei Artikel von mir in der Amazone erschienen, einer über Christa Wolf, einer über die Galerie Mondin , die kurz darauf einging, und einer über das Frauenkulturzentrum Sa rah, anlässlich dessen Louise mich ermahnt hatte, mich nicht mit den Objekten meiner Arbeit zu solidarisieren. Den Veröffentlichungen waren lange Diskussionen vorausgegangen und ich hatte sie ein halbes Dutzend Mal umschreiben müssen. Auch meine Aufträge an unsere freien Autorinnen ergingen erst nach umständlicher Instruierung und wurden sowieso von Louise gegengelesen. Als Redakteurin war ich überflüssig, als Autorin eine Niete und als Mensch unerheblich.
    Martha goss die Blumen.
    Marie saß in ihrem Büro an der Schreibmaschine, die blonden Haare hinterm Ohr, eine rote Bluse um die straffen Schultern, knappe Jeans. Sie war kompetent, unbestechlich, logisch, aufrichtig, zupackend und intelligent, außerdem schön, sportlich, weiblich, klar und gerade, ohne modischen Kleinkram und so wunderbar blauäugig, dass keine schmutzigen Gedanken aufkamen.
    Sie blickte auf. Ich störte.
    »Was gibt’s?«
    Selbstverständlich herrschte Ordnung in ihrem Büro.
    »Ich bin da an einer Geschichte dran«, sagte ich. »Kennst du eine gewisse Gabi?«
    »Meinst du Gabriele Weiß, Marthas Tochter?«
    »Ach du Scheiße!« Das war es, was mir gestern bei Gabis Besuch so komisch vorgekommen war. Die Distanzlosigkeit.
    »Sie ist unter Mordverdacht festgenommen worden«, erklärte ich.
    Marie blinzelte nicht.
    »Sie soll einen Jungen auf der Straße
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