Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung
Autoren: Julie Hastrup
Vom Netzwerk:
durchströmte sie.
    »Ich auch. Ich bin mir sicher, dass alles gut wird.« Der Alkohol
machte sie benommen, doch ihre Muskeln entspannten sich, und der Schlaf schlich
sich langsam heran. Sie hörte ihm zu. Es ging um Amalie, die Scheidung von
Anette, und sie schloss die Augen, während seine Stimme immer undeutlicher
wurde, um dann ganz zu verschwinden.
    » Just for the record. Ich kann es kaum
erwarten, dich nach Kopenhagen zu fahren. Rebekka. Rebekka, schläfst du?«

DIENSTAG, 4. SEPTEMBER
    Mehr als eine Katzenwäsche
war nicht drin, und einen Moment ärgerte Rebekka sich und starrte wütend ihr
Spiegelbild an, während sie behutsam Feuchtigkeitscreme auf die geschwollenen
Wangen tupfte. Vorsichtig putzte sie sich die Zähne und versuchte, nicht an den
wackligen Zahn zu kommen, der nach der letzten Nacht glücklicherweise wieder
etwas fester zu sitzen schien. Wenn er nur nicht schwarz wurde, dachte sie und
war froh, dass ihr Aussehen keinen dauerhaften Schaden genommen hatte. Sie
schleppte sich ins Zimmer und packte mit dem gesunden Arm ihren Koffer, legte
die Bücher neben ein Paar schicke Schuhe, die sie kein einziges Mal getragen
hatte, nicht einmal als sie mit Michael bei Jeromes zu Abend gegessen hatte.
Weiße T-Shirts, ein paar zerknitterte Blusen, eine schwarze und eine hellgraue
Jeans, mehrere Kaschmirpullover und unzählige Notizen zu dem Fall. Ihr Blick
fiel auf Robins Akte, sie nahm sie in die Hand und überlegte kurz, ob sie sie
mit nach Kopenhagen schmuggeln sollte. Sie könnte sie zu Hause in Ruhe
durchlesen, die verschiedenen Zeugenaussagen studieren, nicht zuletzt ihre
eigene.
    Sie fuhr mit dem Finger über die
vergilbte Mappe, hielt bei der Aufschrift inne: »Holm, Robin, Geboren: 02.09.1974 Gestorben: 28.07.1981«.
    Plötzlich merkte sie zu ihrer eigenen Überraschung, dass das Loch in
ihrem Inneren verschwunden war. Sie wagte sich kaum zu rühren, aus Angst, dass
es zurückkommen und noch größer sein könnte. Aber nichts geschah, und diese
Entdeckung erfüllte sie mit einer unbekannten Freude. Sie führte behutsam die
Akte zum Gesicht, küsste leicht die abgenutzte Vorderseite und steckte den
Bericht vorsichtig zurück in die Tasche. Sie würde ihn im Polizeipräsidium
abliefern, bevor sie abreiste. Sie brauchte ihn nicht mehr.
    —
    Gert Gudbergsen lag ruhig
in dem weißen Krankenbett. Sie hatten ihn auf eine andere Station verlegt und
ihm ein Einzelzimmer gegeben, damit er seine Ruhe hatte. Einige Journalisten
hatten Wind davon bekommen, dass Anna Opfer eines Kinderhandels gewesen, und
nicht zuletzt, dass sie missbraucht worden war, und die kardiologische
Abteilung belagert, in der Hoffnung, ihn interviewen zu können. Das Personal
hatte ihn nachts verlegt. Als ob es ihm in den Sinn käme, ein Interview zu
geben. Er sah die Journalisten vor sich, wie ein Rudel bissiger Schäferhunde,
die ihre weißen scharfen Zähne fletschten und ihn anbellten. Er dachte an
Sanna. Sie war auf eine geschlossene psychiatrische Station verlegt worden,
weil sie sich weigerte zu essen und dauernd mit dem Kopf gegen die Wand schlug.
Die Ärzte befürchteten, dass sie sich das Leben nehmen könnte, und zu seiner
Überraschung spürte er, dass dieser Gedanke ihn ängstigte. In den letzten
Jahren ihres Zusammenlebens hatte er sich unzählige Male gewünscht, dass sie
tot wäre. Hatte davon phantasiert, dass sie in der Badewanne ertrank, in
betrunkenem Zustand einen Unfall verursachte oder im Haus die Treppe hinunterfiel.
Er hatte sich danach gesehnt, Anna für sich zu haben, mit ihr allein zu sein,
genau wie James Mason mit seiner Stieftochter in dem Film Lolita . Er hatte sich
vorgestellt, wie sie die Geschäfte veräußerten, die Wohnungen verkauften und
eine Weltreise machten, in Hotels und Motels wohnten, die USA mit einem
Wohnmobil bereisten, wie Anna das so gerne gewollt hatte. Er schloss die Augen
und spürte die Tränen seine eingefallenen Wangen hinunterlaufen. Damit war
jetzt Schluss. Nichts war mehr wie vorher. Plötzlich hatte er Angst, dass er
nach seiner Genesung einen peinlichen Prozess durchstehen musste, die Augen der
Stadt hart und verurteilend auf sich gerichtet.
    »Oh, Sanna«, murmelte er und
wünschte, sie säße wieder neben ihm und hielte seine Hand. Vielleicht konnten
sie es noch einmal versuchen? Neu anfangen?
    Er erinnerte sich an ihre Jugend, an Sannas anmutige Gestalt, das
schwarze dichte Haar, die schönen dunklen Augen und die kleine Hand, die so
kindlich in seiner gelegen hatte. An
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher