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Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung
Autoren: Julie Hastrup
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ihr singendes Schwedisch, ihre Muttersprache.
Wann war das alles vorbei gewesen, ihre Liebe zueinander, ihre Träume und ihre
Hoffnungen für die Zukunft? Er wusste es nicht, erinnerte sich nur, dass etwas
sich zwischen ihnen verändert hatte, als sie Anna bekommen hatten. Er erinnerte
sich an den kleinen Körper, der in seinen Armen gezappelt hatte, und an die
intensive Liebe zu dem Kind, so unverdorben und rein. Damals hat unsere
Entfremdung begonnen, dachte er traurig und spürte, wie sein Herz sich
zusammenzog, als er erkannte, dass es zwischen ihm und Sanna endgültig vorbei
war. Sie würde ihm nie vergeben.
    Seine Brust verkrampfte sich, als säße etwas Schweres auf ihm, der
Schmerz schoss heftig in seinen Arm und engte ihn ein. Er schwitzte und fror
gleichzeitig und bekam kaum Luft. Der Schmerz in der Brust wurde stärker, er
stöhnte laut, schnappte nach Luft und streckte die Hand nach dem Alarmknopf
aus, um jemanden vom Personal zu rufen. Er sah Anna vor sich, strahlend und
schön, und seine Hand hielt in der Luft inne, ließ den Alarmknopf los. Er
wollte wieder mit ihr vereint sein.
    —
    »Es könnte ja sein, dass
wir uns irgendwann einmal wiedersehen.«
    Alex bewahrte Karins letzten Satz
wie einen warmen Sonnenstrahl in seinem Inneren, als sich die Krankenhaustüren
lautlos hinter ihm schlossen. Er stand unter dem Vordach des Krankenhauses und
blinzelte in die Sonne, während er sich eine Zigarette anzündete. Die erste
seit mehreren Tagen. Der Rauch kratzte im Hals und löste augenblicklich einen
Hustenanfall aus. Ihm traten die Tränen in die Augen und erinnerten ihn an
damals, als er als Vierzehnjähriger auf einer Bank unten im Moor gesessen und
hartnäckig versucht hatte, die Zigaretten seiner Mutter zu rauchen. Er
erinnerte sich an die Übelkeit, das Gefühl zu ersticken, wenn er inhalierte,
und wie er sich schließlich im hohen Gras übergeben hatte. Er warf die
Zigarette auf den Boden, trat sie mit der Spitze seines Turnschuhs aus und
griff nach der Plastiktüte mit seinem Eigentum. Sie wog nichts, und für einen
Moment stieg das alte Gefühl der Hoffnungslosigkeit in ihm auf. Dann erinnerte
er sich an Karins letzte Worte und trat hinaus in die Sonne.
    —
    Michael stand unter der
Dusche und ließ das warme Wasser über seinen müden Körper plätschern. Es war
gestern spät geworden. Sie hatten Champagner getrunken, um die Aufklärung des
Falls zu feiern, und geredet, oder vielmehr er hatte geredet, von seinem Leben
erzählt, von Amalie, der Scheidung von Anette, und Rebekka hatte unter ihrer
Decke gelegen und zugehört, das zerschundene Gesicht auf dem Kissen ruhend. Sie
war eingeschlafen und er hatte sich geschämt, hatte befürchtet, sie mit seinem
Gerede zu langweilen. Er hatte sie fester in die Decke gepackt, ruhig
dagesessen und sie betrachtet, die dunklen Wimpern, die leicht im Schlaf
flackerten, die aufgesprungenen und geschwollenen Lippen, verschorft von
geronnenem Blut, und sein Herz war vor Zärtlichkeit übergeflossen. Er war froh,
dass er ihr das mit Robin gestanden hatte, und dankbar, dass sie nicht sauer
auf ihn gewesen war und ihn abgewiesen hatte.
    Er nahm das Duschgel aus dem Halter
in der Dusche, drückte etwas davon in seine Hand und verteilte die parfümierte
Seife mit kreisförmigen Bewegungen auf seinem Körper. Große Schaumblasen
glitten langsam an ihm hinunter. Geistesabwesend folgte er ihnen mit den Augen,
während die Gedanken durch seinen Kopf wirbelten. Erst jetzt spürte er, wie
erschöpft er war. Er schloss die Augen, und die warmen Wasserstrahlen spritzten
auf sein Gesicht. Er war froh, dass der Fall abgeschlossen war und das Leben
wieder in den gewohnten Bahnen verlief, merkte aber auch, dass etwas sich
verändert hatte. Er hatte sich verändert, stellte er überrascht fest. Eine
Unruhe hatte von ihm Besitz ergriffen, ein Streben nach etwas anderem, nach
mehr. Er schüttelte den Kopf, als könnte er diesen Irrtum abwerfen, doch je
mehr er gegen den Gedanken ankämpfte, desto klarer wurde er. Er konnte nicht in
sein altes Leben zurückkehren. In seinen gewohnten Alltag im Polizeipräsidium,
zu dem Freitagsbier mit David, zu den Motorradfahrten, einem gelegentlichen
Dartspiel und dem Sonntagsbesuch bei seinen Eltern. Er konnte einfach nicht. Er
drehte das Wasser ab, griff nach dem angewärmten Handtuch und trocknete sich
ab. Er spürte eine Verwegenheit in sich und lächelte über sich selbst. Die Welt
lag mit einer Unmenge unerforschter Möglichkeiten vor ihm.
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