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Vergangene Narben

Vergangene Narben

Titel: Vergangene Narben
Autoren: Stefanie Markstoller
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etwas ganz anderes. „Ein Gedicht?“
    „Ja.“ Sie lächelte mich an. „Möchtest du des hören?“
    „Wenn es dich nicht stört.“
    Wie ich es zuvor getan hatte, richtete auch sie den Blick in den Himmel, hinauf zu den Sternen, die klar und deutlich auf uns niederfunkelten, und tauchte dabei in eine Zeit ein, die schon lange vergessen schien.
    „Tochter der Mondes,
    Gesandte der Nacht,
    von Kummer zerfressen,
    das Herz nicht mehr lacht.
    Sterne am Himmel,
    sie leuchten voll Glück.
    vergesst Eure Sorgen,
    es gibt kein Zurück.“
    Ich neigte den Kopf zur Seite. „Das ist traurig.“
    „Ja, das ist es. Und doch hat es die Situation damals genau auf den Punkt gebracht.“ Sie lehnte sich zurück und sah mich an. „Weißt du, irgendwie weisen unsere Situationen gewisse Parallelen auf. Wir beide fühlten Kummer, weil wir mit dem was uns geschah nicht zurecht gekommen sind. Und wir beide wollten an den Punkt zurück, an den die Welt für uns noch in Ordnung war. Und doch gibt es zwischen uns einen gravierenden Unterschied.“
    „Welchen?“
    „Stärke.“ Sie seufzte, und senkte den Blick auf ihre Füße. „Diese Erlebnisse, alles was mir wiederfahren ist, ich bin langsam, Stück für Stück daran kaputt gegangen. Das einzige was mich immer zusammenhalten konnte war Sydney, aber manchmal war auch er machtlos. Du hingegen bis an den Aufgaben die das Leben dir bisher gestellt hat gewachsen, und hast damit bewiesen, dass du viel stärker bist als ich.“
    Du bist so stark, Zsa Zsa, dass du es nicht mal merkst.
Das hatte Cio damals zu mir gesagt. „Ich hab aber auch nicht annähernd so viel wie du durchmachen müssen.“
    „Und dafür danke ich Chaim jeden Tag.“
    Wie sahen uns an, sahen uns wirklich, zum ersten Mal seit wir uns kannten.
    „Ich bin froh, dass ich damals nicht auf Papa gehört habe.“
    „Ich auch“, sagte sie leise, und nahm meine Hand, um sie leicht zu drücken. „Du glaubst gar nicht wie froh ich darüber bin, dass du deinen Weg zu mir gefunden hast.“
    Diese Erläuterung bedurfte keiner weiteren Worte. Schweigend drückte ich ihre Hand, und richtete meinen Blick wieder hinauf in die Sterne.
    So saßen wir da. Stumm, im Einklang mit uns selber. Und zum ersten Mal seit ich sie kennengelernt hatte, probierte ich insgeheim das Wort Mutter für diese Person. Es fühlte sich ungelenk, und seltsam an, doch irgendwo auch richtig. Cheyenne würde Mama niemals ersetzten können, doch ich würde sie ab jetzt nicht mehr in meinem Leben missen wollen.
    Der Weg bis an diesen Punkt war weit gewesen, doch er hatte sich gelohnt.
     
    °°°
     
    Das glänzende Haar fiel ihr wie ein Schleier um die Schultern. Das weiße Gewand hatte etwas von einem Nachthemd, und ließ sie dünn und zerbrechlich wirken. Geisterhaft, wie ein Kind, unschuldig. Sie schien nicht von dieser Welt, dem Leben irgendwie entrückt, so als ginge sie das alles nichts an, obwohl sie doch mittendrinn war. Der Mittelpunkt. Heute ging es ausschließlich um sie.
    „Hu hu.“ Eine Hand wedelte vor meiner Nase herum, und riss mich damit aus meiner Beobachtung. „Bist du anwesend?“
    „Ja, ich …“ Ich sah zu Cio hoch, und nahm das mir entgegengehaltene Champagnerglas. „Ich hab nur gerade gedacht, Naomi wirkt so einsam.“ Und bei der Menge an Rudelmitgliedern, die heute hier aufgelaufen waren, war das eine Kunst für sich.
    Nicht nur hier im Thronsaal war es so voll, dass man keinen Schritt machen konnte, ohne einem anderen unbeabsichtigt auf den Fuß zu latschen, im Rest des Schlosses sah es nicht anders aus. Wobei, was hieß hier Schloss? Die ganze Stadt war von Werwölfen so überlaufen, dass sie bereits Zelte auf jeder verfügbaren Freifläche aufgeschlagen hatten, und an diesem Erlebnis teilnehmen zu können. Und allein hier her zu kommen, hier in den Thronsaal, war eine Herausforderung gewesen.
    Nun saß ich an einem dieser Zahnstocherbeinchentische unter den bodenlangen Fenstern, und beobachtete wie der Adel des Rudels zu den Gesellschaftstänzen über das Parkett schwebte. Eine Huldigung an die zukünftige Königin.
    Alles sah wieder so aus wie vor dem Angriff auf dem Schloss. Die Leute hatten sich echt Mühe gegeben, alles wieder in den vorherigen Zustand zurück zu versetzen. Wenn man nicht dabei gewesen war, konnte man fast glauben, dass es nie stattgefunden hatte.
    „Willst du auch tanzen?“
    Mein Blick hob sich wieder zu Cio, der an seinem Glas nippte. Genau wie ich hatte er es nicht für nötig gehalten sich in
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