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Verfuehrt

Verfuehrt

Titel: Verfuehrt
Autoren: Kathryn Taylor
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das er zufrieden grinsend entgegennimmt. Es war eine verdammt lange Fahrt von Heathrow hierher, und ich fand sie nicht ganz so erbaulich wie er.
    »Letzte Fahrt heute. Ich mach jetzt Feierabend«, erklärt er mir und schwingt sich aus dem Wagen, um mir die Tür aufzuhalten und mir zu helfen, den Koffer aus dem Fahrgastraum zu hieven. »Schönen Abend noch«, wünscht er mir, und ich nicke ihm stumm zu, weil ich für eine Erwiderung einfach zu müde bin. Dann steigt er wieder ein und ist verschwunden, was mir sehr recht ist.
    Mir war gar nicht nach Smalltalk, aber der Mann kannte keine Gnade und hat die ganze Fahrt über geredet. Weshalb ich jetzt ziemlich umfassend informiert bin über seine Frau, seine Kinder, die Gründe für die letzte Regierungskrise und seine Fähigkeiten im Pokern. Aber es hatte auch sein Gutes, denke ich dann. Denn dadurch blieb mir wenigstens keine Zeit zum Grübeln. Und er kann ja nichts dafür, dass es mir im Moment so schlecht geht, also beschließe ich, nachsichtig zu sein.
    Bei einem Blick über die Fassade unseres Hauses stelle ich fest, dass in den Etagen, in denen meine Eltern wohnen, kein Licht mehr brennt. Kein Wunder, schließlich ist es schon kurz vor ein Uhr nachts. Ich wusste nicht, wann genau ich ankomme, deshalb habe ich ihnen gesagt, dass sie nicht aufbleiben sollen, und im Grunde bin ich sogar wahnsinnig erleichtert darüber, dass mich jetzt niemand mehr begrüßt und will, dass ich von meiner unerwartet langen und kräftezehrenden Reise berichte.
    Ich hätte glatt noch mal zurück zu Valentina in die Stadt fahren können, denn ich musste über vier Stunden auf den Flug warten, den die Dame für mich herausgesucht hatte. Theoretisch vier Stunden. In Wirklichkeit hatte die Maschine auch noch Verspätung, sodass wir erst nach fünfeinhalb Stunden endlich auf dem Weg zur Startbahn waren – nur um dann noch mal schier endlos zu warten, weil es angeblich irgendwelche technischen Probleme bei der Luftüberwachung gab. Erst eine halbe Ewigkeit später war die Maschine dann endlich in der Luft, und ich mit meinen Nerven ziemlich am Ende.
    Müde trage ich den Koffer die Stufen in den Souterrain hinunter und kämpfe, weil ich so erschöpft bin, ein bisschen mit dem Schloss an der Haustür. Dafür lässt sich die Wohnungstür dahinter sofort öffnen, was mich wundert. Jane muss beim Saubermachen vergessen haben, die Tür wieder abzuschließen.
    Und sie hat auch das Licht im Wohnzimmer angelassen, fällt mir auf, als ich meine Wohnung betrete, und wundere mich einen Augenblick lang, weil solche Unachtsamkeiten eigentlich nicht zu unserer Haushälterin passen. Aber vielleicht war sie es gar nicht, sondern Mum, die wollte, dass ich mich gleich willkommen fühle, wenn sie mich schon nicht persönlich begrüßen kann. Der Gedanke lässt mich unwillkürlich lächeln, während ich den Koffer in den kleinen Flur schiebe.
    Es riecht vertraut, und mein Lächeln schwindet, als mir wieder einfällt, dass Matteo das letzte Mal bei mir war, als ich von einer Reise nach Hause zurückgekehrt bin. Er hat auch meinen Koffer getragen, den ich jetzt selbst ins Wohnzimmer bugsieren muss, wo ich ihn erst mal neben dem Sessel stehen lasse.
    Mit einem tiefen Seufzen sehe ich mich in meinem kleinen Reich um, in dem alles noch genauso ist, wie ich es zurückgelassen habe. Mein Leben hier kann also nahtlos weitergehen, denke ich. So als hätte es meinen Ausflug nach Rom und alles, was ich dort erlebt habe, nie gegeben …
    Ich stutze, als mein Blick auf die Wand über dem kleinen Sofa fällt. Denn das Bild, das da hängt, gehört mir nicht, auch wenn es mir irgendwie bekannt vorkommt. Es war auf jeden Fall noch nicht da, als ich gefahren bin.
    Neugierig trete ich näher – und staune. Denn wenn ich das richtig sehe, dann ist es ein Original von John William Waterhouse. Und das Motiv kenne ich deshalb, weil es die Ausarbeitung von einer der Skizzen ist, die ich von meinem Großvater geerbt hatte und vor einem Jahr verkaufen musste.
    Wie kommt es hierher? Mir fällt nur mein Vater ein, aber können wir uns schon wieder so ein teures Bild leisten? Und warum hat er das nicht erwähnt, als wir telefoniert haben?
    Fasziniert und ganz versunken betrachte ich die Einzelheiten des Kunstwerks.
    »Gefällt es dir?«
    Matteos tiefe Stimme lässt mich herumfahren, und mein Schlüsselbund, den ich noch in der Hand hätte, fällt klirrend zu Boden, als ich ihn in der Tür zu meinem Schlafzimmer stehen sehe. Er trägt noch
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