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Verfolgt

Verfolgt

Titel: Verfolgt
Autoren: Ally Kennen
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bei der polizeilichen Befragung dabei sein kann. Anschließend wollen sie wieder in ihre Heimat zurückkehren.
    Als ich ihnen einen zweiten Besuch abstatte, macht mir Jak die Tür auf. Emily ist in der Küche, Kos ist oben und schläft. Jak bittet mich, in den Garten zu kommen. Neugierig gehe ich mit. Die Oma sitzt schon draußen auf einer Bank und trinkt ein Glas Wasser. Als sie mich sieht, steht sie auf und umarmt mich. Sie riecht nach Anis und nach alter Frau.
    »Was gibt’s denn?«, wende ich mich an Jak. »Soll ich ein gutes Wort für dich einlegen, dass du wieder im Hotel arbeiten kannst, oder was?«
    Jak sieht mich fest an. Er sieht Kos tatsächlich ähnlich. Die beiden haben denselben Haaransatz, denselben Mund   …
    |310| »Es gibt noch so einiges, was wir nicht wissen, Lexi. Vielleicht kannst du uns weiterhelfen.«
    Ich bekomme einen Schreck. Ich dachte, jetzt ist alles in Ordnung. Kos ist wieder da, Owen sitzt im Knast.
    »Kos redet immerzu von unserer Mutter«, fährt Jak fort. Ach so. Das wundert mich nicht. Die Mutter ist der Knackpunkt der ganzen Geschichte. Inzwischen weiß ich, dass sie Sazanna hieß, für mich bleibt sie »die Verrückte«.
    »Kos behauptet, sie war die ganze Zeit bei ihm.« Aha.
    »Lexi, er behauptet, er hätte im Wald mit ihr zusammengelebt.«
    »Vielleicht hast du ihn ja falsch verstanden.« Kos spricht immer noch nicht viel, weder Englisch noch seine Muttersprache Albanisch.
    »Nein, er hat sich nicht verhört.« Emily steht, auf ihren Stock gestützt, in der Tür. Jetzt kommt sie zu uns herübergeschlurft.
    »Emily?«
    Die alte Frau putzt sich die Nase und sagt kleinlaut: »Ich hab’s gewusst, dass es irgendwann rauskommt.«
    »Was denn?«, fragt Jak. »Was kommt raus?«
    Emily setzt sich zu Sadja auf die Bank.
    »Vier Tage nach dem Gefangenenaufstand habe ich Kos im Wald entdeckt. Er hat mich zu seiner Mutter gebracht. Sazanna hatte den Aufruhr genutzt, um zu fliehen, aber ein paar Aufseher sind ihr nachgelaufen.« Emily schielt zu mir herüber. »Sie war übel zugerichtet. Die Männer hatten |311| sie zusammengeschlagen und zum Sterben liegen gelassen.«
    Ich drücke mich mit dem Rücken fest an die Gartenmauer. Owen und die Neasdons, wie sie betrunken und zu allem fähig durch den Wald streifen, stehen mir vor Augen.
    »Als ich sie gefunden habe, lag sie schlafend in einem schrottreifen Auto, das jemand im Wald abgestellt hatte. Sie war überall grün und blau. Aber ich durfte sie nicht zum Arzt bringen. Nach allem, was sie erlebt hatte, traute Sazanna den Behörden nicht mehr. Ich wusste einfach nicht, was ich machen sollte. Kos war noch ein Kind und Sazanna war   …«, Emily stockt, »…   verstört.«
    Jak starrt Emily erschüttert an. Sadja zupft ihn am Ärmel und er reißt sich so weit zusammen, dass er ihr übersetzen kann, was wir reden.
    »Außerdem war sie ziemlich durcheinander.« Emily tippt sich an die Stirn. »Sie war krankhaft misstrauisch. Darum blieb sie mit Kos im Wald und versteckte sich. Und als das Gefängnis geschlossen wurde, sind die beiden auf das Gelände umgezogen. Ich habe ihnen Essen, Decken und Kleidung gekauft, aber Sazanna hat sich nie mehr richtig erholt.« Emilys Wangen sind tränennass.
    »Sie hatte einen Lieblingsplatz im Wald, eine kleine Lichtung. Da hat sie sich oft ins Gras gelegt und zu den Wolken hochgeschaut. Sie hat immer gesagt, die Wolken kommen aus ihrer Heimat hergezogen, um sie zu besuchen.« Emily muss sich kurz unterbrechen. »Ungefähr ein Jahr nach dem Aufstand hat Kos sie eines Tages dort gefunden. |312| Sie lag auf dem Rücken im Gras. Erst hat er sich nichts dabei gedacht, aber dann hat er gesehen, dass sie tot war.«
    Keiner sagt etwas. Nebenan plärrt Popmusik aus einem Radio.
    »Wie traurig«, sage ich leise.
    Emily nickt. »Kos war untröstlich. Wir haben sie im alten Schwimmbad begraben. So wäre es für Kos am besten, dachte ich. Aber sie wurde bald gefunden. Es hat Kos fast das Herz gebrochen, als ihre Leiche weggebracht wurde. Aber ich hatte es doch nur gut gemeint!« Sie blickt verunsichert in die Runde. »Ich habe mir die ganze Zeit Vorwürfe gemacht. Darum habe ich auch bis heute niemandem davon erzählt. Ich wollte nicht, dass jemand mit mir schimpft, weil ich alles falsch gemacht habe.«
    Als Jak seiner Oma alles übersetzt hat, ist es wieder lange still. Ich gehe das Ganze in Gedanken noch mal durch. Das heißt, Owen hat Sazanna gar nicht umgebracht, er hat es bloß geglaubt. Und er hat geglaubt,
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