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Verflucht himmlisch

Verflucht himmlisch

Titel: Verflucht himmlisch
Autoren: Bettina Belitz
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schieben, doch bevor ich ihn anheben konnte, löste sich der Asphalt unter mir auf und ich stürzte herab.
    Und nichts hielt mich mehr.

Alte Bekannte
    »Ach, das Fräulein Morgenroth. Was ist denn heute passiert? Verbrannt? Knochen gebrochen? Platzwunde?«
    Das war eindeutig eine menschliche Stimme. Eine Frau. Und ich kannte sie. Ich kannte sie gut. Es war Frau Dr. Manke von der Notaufnahme.
    Sie freute sich, wenn ich eingeliefert wurde, weil sie unheimlich gerne meine Wunden zusammennähte – selbst an einem Sonntagnachmittag, wo der ganze schmale Gang vor dem Behandlungszimmer voller verletzter Kinder und Jugendlicher war. Ich hätte so schön blasse Haut, sagte sie immer versonnen, bevor sie die Nadel zückte.
    Ich war also nicht tot. Nein, ich befand mich in der Notaufnahme des Marienkrankenhauses. Und ich lag auf einer Trage. Das war gut. Weniger gut war, dass mein Kopf hämmerte und pochte, meine Schulter schlaff an mir herunterhing und mir sterbensübel war. Trotzdem lauschte ich angestrengt, ob ich noch etwas anderes hörte außer dem Rollen der Räder unter mir, dem Summen der Belüftungen und Frau Manke, die irgendjemandem bereitwillig erklärte, was ich schon alles angestellt hatte.
    Nein, da war nichts anderes. Kein Grollen. Kein gläsernes Schimpfen. Nur Frau Manke, die sich in Anekdoten rund um meine Krankenakte verlor. Der Schaukelpferdunfall, ja, stimmt – da hatte sie mich das erste Mal repariert. Platzwunde neben dem Auge, vier Stiche. Ich war ein wenig zu wild gewesen und hatte mir den Griff in die Schläfe gehauen. »Hätte auch ins Auge gehen können«, pflegte Frau Manke zu sagen, wenn sie einem ihrer Assistenten diese Geschichte erzählte.
    Dann war da der Sturz vom Rad. Mit dem Kinn auf die Bordsteinkante geknallt, fünf Stiche. Ich hatte versucht, freihändig im Kreis zu fahren. Fast wäre es mir gelungen! Und, ach ja, zweimal Arm gebrochen, weswegen, weiß ich gar nicht mehr genau. Armbrüche gehörten dazu.
    Die Brandwunde am Zeigefinger war schon ein anderes Kaliber. Es hatte megamäßig gerumst und gescheppert, als der Briefkasten vom Nachbarn in die Luft geflogen war. Immerhin war Hexennacht, da durfte man solche Sachen machen. Fand ich. Leider traf der Chinaböller exakt meine Hand, nachdem er durch den Hauseingang geschossen war.
    »Und jetzt?«, fragte Frau Manke erneut. »Was ist jetzt passiert? Sie ist ja bleich wie ein Leintuch. Abgesehen von all den blauen Farbspritzern. Hihi.«
    Ja, und ich kotze gleich auf den Boden, wenn ihr mir nicht bald irgendetwas gegen die Schmerzen gebt, dachte ich verzweifelt.
    »Ich weiß es nicht …« Das war Herr Rübsam, mein Klassenlehrer. Oje. Herr Rübsam war sehr nett. Eigentlich war er sogar der netteste Lehrer der ganzen Schule. Und er klang völlig erschüttert. »Ich weiß es wirklich nicht. Sie war auf einmal auf dem Dach. Dann ist sie auf die Lampe gesprungen. Die Lampe! Die ist zweieinhalb Meter hoch! Mindestens! Da stand das Kind auf der Lampe …«
    »Bin kein Kind«, krächzte ich mühsam.
    »Still!«, herrschte Frau Manke mich an. »Nicht sprechen. Beweg dich nicht. Nur atmen, atmen darfst du, schön langsam ein und aus.«
    Ich beschloss, die Augen noch ein Weilchen geschlossen zu halten und Frau Manke ausnahmsweise zu gehorchen.
    Zwei Stunden später – Herr Rübsam hatte einen starken Kaffee getrunken, ein Stück Käsekuchen gegessen, von Frau Manke einen kühlen Wickel für seine Stirn bekommen und sah nun etwas weniger grün im Gesicht aus – hatten sie meine Schulter wieder eingerenkt, mir einen dicken Verband verpasst, meine Haare am Hinterkopf rasiert und die Wunde genäht (vier Stiche, nichts Großes), verschiedene Spritzen in meinen Arm und meinen Hintern gejagt, die blaue Farbe weggewaschen, mich an den Tropf gehängt und mir saublöde Fragen gestellt. Wie viele Finger sind das und solche Scherze. Oh Mann, das kannte ich doch schon alles. Und sie hätten eigentlich wissen müssen, dass ich sie jedes Mal auf den Arm nahm. Besonders gut kam: »Was sind denn Finger?«
    Aber Frau Manke musterte mich heute anders als sonst.
    »Luzie, Luzie, dieses Mal müssen wir dich für ein paar Tage hierbehalten.«
    »Nein«, entgegnete ich, so laut ich konnte. Es war nicht sehr laut. »Mir geht’s gut«, log ich. Das durfte doch nicht wahr sein – bisher hatte ich immer nach dem Reparieren nach Hause gehen können! Notaufnahme, reparieren, in den Hemshof. Mich von Mama gesund pflegen lassen. Ich wollte nicht bleiben.
    »Mein liebes
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