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Verflucht himmlisch

Verflucht himmlisch

Titel: Verflucht himmlisch
Autoren: Bettina Belitz
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es musste das Fieber gewesen sein.
    Trotzdem hörte ich mit dieser blöden inneren Warterei nicht auf. Irgendetwas fehlte. Vielleicht nicht unbedingt der jammernde Geist. Aber alles war anders als vorher. Als wäre ich ein Stückchen leerer. Nicht ganz vollständig.
    Und wenn ich nicht auf die blaue Gestalt wartete, wartete ich auf Seppo. Der kam auch nicht. Langsam wurde ich wütend auf ihn. Er konnte sich doch mal überwinden und ein Mädchen im Krankenzimmer besuchen. Immerhin hatte ich mir um ein Haar den Hals gebrochen.
    Nachmittags standen auf einmal Serdan und Billy im Zimmer. Serdan glotzte begeistert auf meinen dicken Schulterverband und die Stiche an meinem Hinterkopf, wünschte mir aber nicht einmal gute Besserung. Billy laberte nur Mist. Beinahe sehnte ich mir Mama zurück, die die meiste Zeit seufzend im Zimmer herumgewuselt war und die ewig gleiche Leier ertönen ließ (ich konnte schon mitsprechen): »Luzie, Luzie, irgendwann liegst du unten bei uns im Keller, wenn du nicht lernst, besser auf dich aufzupassen. Irgendwann liegst du da unten. Und das halte ich nicht aus.«
    Und ich sagte wie immer: »Na, wenigstens liege ich dann bei euch und nicht beim Bierlapp.«
    Der Bierlapp war Papas schärfster Konkurrent. Er wohnte nur zwei Blocks entfernt und empfing seine Kunden (also die Angehörigen, nicht die Toten) in einem wallenden violetten Mantel, weil er meinte, das würde ein positives Energiefeld aufbauen. In seiner Sarghalle brannten stinkende Räucherstäbchen und sich selbst besprühte er von Kopf bis Fuß mit Lavendelduft, »für bessere Träume in der Trauerzeit«. Deshalb drängte er seinen Kunden ebenfalls Lavendelspray auf. Fünf achtzig das Stück. Papa sagte, der Bierlapp sei ein Scharlatan.
    Aber Mama konnte mein Einwand nur wenig trösten. Deshalb hatte ich mich ihr zuliebe überreden lassen, den grässlichen Herzchenschlafanzug anzuziehen, und nun machte Billy Witze darüber. Na, das konnte ich gar nicht brauchen.
    Ich war froh, als die beiden wieder abhauten. Mit ihnen über die Dächer zu rennen machte Spaß, okay. Ansonsten konnten sie mir gestohlen bleiben.
    Es wurde früh dunkel, denn das Wetter war eine Zumutung. Sturm und Regen. Ununterbrochen gurgelte das Wasser in den Abflussrohren neben dem Fenster und die Rollläden klapperten in einem fort. Ich wollte noch nicht schlafen, sondern warten, ob in der Nacht die Gestalt zurückkam. Geister kamen bekanntlich immer nachts, aber das ständige Gluckern und Rauschen ließ mich so müde werden, dass ich meine Augen nicht mehr offen halten konnte.
    Stunden später riss mich ein lautes Scheppern aus meinen chaotischen Träumen. Ich fuhr hoch und heulte im gleichen Moment auf. Mein Arm … Ich wartete, bis das Pochen milder wurde und ich wieder atmen konnte. Was war denn das gewesen? Es hatte sich angehört, als ob ein riesiger Vogel gegen die Fensterscheibe gekracht und abgestürzt sei.
    Mit dem Tropf am Arm wankte ich zum Fenster, öffnete es und blickte nach unten auf das Flachdach über dem Eingangsbereich der Klinik. Ein leises Stöhnen drang durch die Dunkelheit. Ich blinzelte, doch ich irrte mich nicht – die Gestalt war zurück. Sie lag gekrümmt auf dem Dach und wimmerte theatralisch vor sich hin.
    »Fenster ist jetzt offen!«, rief ich gedämpft zu ihr herunter. Ich kam mir bescheuert dabei vor, aber offensichtlich hatte sie ein Problem mit der Scheibe. Das verstand ich nicht, denn wenn es derselbe Geist wie gestern war, konnte er durch Scheiben hindurchfliegen. Und jetzt war er daran abgeprallt. Auch sah er nicht mehr so schwammig aus. Nein, alles an ihm wurde deutlicher und plastischer. Er sollte sich wirklich dringend etwas anziehen.
    Angewidert schleppte ich mich auf mein Bett zurück und wartete. Nach einigen Minuten rauschte er durchs Fenster und ließ sich auf dem Besucherstuhl nieder.
    »Bin wieder da«, flüsterte er – und zwar wesentlich lauter und weniger glasig als gestern. »Was für eine Scheiße. Oh Himmel. Oooooh.«
    Ich nahm mein Kopfkissen und warf es ihm auf den Schoß. So. Das war schon besser.
    Blinzelnd schaute ich ihn an. Sein Gesicht änderte sich ständig. Es war fast noch schlimmer als gestern. Und er sah aus, als könne man durch ihn hindurchgreifen. Trotzdem konnte ich ihn genauer erkennen. Was trieb er da nur? Diese dauernden Wandlungen machten mich ganz tüdelig.
    »Ich bin so blöd. So bescheuert. Ich bin ein Versager. Ich habe es vermasselt. Alles. Meine Karriere ist ruiniert, die Truppe wird
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