Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verflucht himmlisch

Verflucht himmlisch

Titel: Verflucht himmlisch
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
mich nie wieder aufnehmen. Ich bin verloren. Für immer. Was habe ich nur getan?«
    Rätselnd hörte ich ihm zu. Er guckte mich nicht an, sondern starrte auf seine sich unablässig verändernden Hände und Beine und Füße. Ab und zu befingerte er sie und fuhr gleichzeitig erschrocken zurück. Jetzt bog er seinen großen Zeh zur Seite und nach unten, während der Zeh anschwoll und anschließend so klein wurde, dass er an einen Babyfuß gepasst hätte.
    »Es passiert«, hauchte er entsetzt. »Der Fluch. Er ist wahr geworden. Der Körperfluch. Leander von Cherubim wurde vom Körperfluch befallen. Ausgerechnet ich! Welch Schande für unsere Dynastie! Eine Tragödie. Warum hast du das getan, Vater? Wolltest du das wirklich? Es bringt Schmach über die Truppe! Vater!! Erlöse mich!«
    »Hallo, ich bin auch noch da. Kannst du mir mal erklären, was das alles soll?!«, rief ich laut. Leander zuckte zusammen und richtete seine riesigen Augen auf mich. Wups, waren sie schmal und schräg. Und dann rund wie bei einem Kind. Aber immer leuchteten sie intensiv und wärmten mich dabei.
    »Kannst du dich nicht mal entscheiden?«, fragte ich entnervt. »Du machst mich wahnsinnig!«
    »ICH mache DICH wahnsinnig?«, rief er schrill und sprang an die Decke. Mit einem dumpfen Knall schlug sein Kopf gegen die Tapete. Farbreste rieselten auf mein Bett. Lautlos glitt er auf den Besucherstuhl zurück und sank gegen den Tisch. Eine Weile war es still. Ich glaube, er hatte Schmerzen. Mir tat mein Kopf ja allein vom Zusehen weh. Das Kissen war auf den Boden gerutscht. Ich schaute peinlich berührt neben seinem Hals vorbei an die Wand. Ich wollte gar nicht sehen, was sich unterhalb seines Gesichts so alles veränderte.
    Dann lief plötzlich ein Schauer durch seine Gestalt. Er richtete sich auf und wandte sich mir zu.
    »So, liebe Luzie, jetzt sage ich dir mal, wer hier wen wahnsinnig macht. Wenn du ein Mal, ein einziges Mal, aufpassen und dich ganz normal benehmen würdest, so wie ein Mädchen sich benehmen soll, dann hätten wir dieses ganze Schlamassel nicht.«
    »Welches Schlamassel?«
    »Na, das hier«, entgegnete er zornig und sprang auf. Er breitete seine Arme aus (im Moment muskulös, tätowiert und behaart, wenn auch nach wie vor blaudurchsichtig), schnaubte und drehte sich um sich selbst.
    »Ich höre erst weiter zu, wenn du dir etwas anziehst. Zieh dir etwas an. Bitte. Und sag mir Bescheid, wenn du nicht mehr nackt bist.« Ich wälzte mich auf den Bauch, drückte mein Gesicht ins Kissen und wartete.
    »Menschen«, knurrte Leander verächtlich. Es dauerte, bis er sich zurückmeldete. Ich bekam mittlerweile kaum mehr Luft. Brauchte er denn so lange, um sich anzuziehen? Er schaffte es doch, sich in einer schlappen Sekunde zwei zusätzliche Köpfe wachsen zu lassen.
    »Ist das genehm?«, näselte er. Vorsichtig drehte ich mich um und schaute auf. Er trug eine Ed-Hardy-Kappe, ein eng anliegendes Muskelshirt in Grellpink und eine schwarze Lederhose. Es sah fürchterlich aus.
    »Ich ersticke«, sagte er gepresst und zupfte hektisch an dem Shirt herum. »Himmel, Donner und Sturm, ist das ätzend. Wie könnt ihr nur mit so etwas herumlaufen – Kleidung! Der Körper allein reicht mir schon. Was für ein lästiges, schweres, ungeschicktes Anhängsel.«
    Als sei ihm bewusst geworden, was er gesagt hatte, warf er sich aufheulend auf den Boden und trommelte mit den Fäusten auf das Linoleum. Also, eines war sonnenklar. Ich war hier nicht die Bekloppte. Sondern er war es. Ich war an einen geistesgestörten Geist geraten. Und dieser Geist kannte meinen Namen. Woher auch immer.
    Prost Mahlzeit, würde Mama jetzt sagen.

Hautnah
    »Luzie«, tönte es dumpf unter dem Bett hervor. Ich schreckte auf. Benommen versuchte ich, mich daran zu erinnern, wo ich war. Ach ja, im Krankenhaus. Beinahe wäre ich fest eingeschlafen.
    »Luzie?«
    Natürlich. Der Geist. Der Geist war bei mir im Zimmer. Ich erinnerte mich. Er hatte vorhin noch eine Weile auf dem Boden herumgetrommelt, nach dem Schlusstrommelschlag erschöpft geschnauft und anschließend viele verschiedene Atemgeräusche ausprobiert. Dabei war ich schläfrig geworden. Es klang ein bisschen wie Papas Schnarchen, nur kreativer.
    »Luzie, antworte!«
    »Hm«, brummte ich. »Was?«
    »Wir müssen etwas ausprobieren. Dringend.«
    Ich reagierte nicht. Was immer es war, er würde es mir sicher gleich mitteilen. Leander krabbelte unter dem Bett hervor. Seine Haut leuchtete meerblau und sah sehr griffig aus. Die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher