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Verflucht himmlisch

Verflucht himmlisch

Titel: Verflucht himmlisch
Autoren: Bettina Belitz
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Schiss bekommen!«
    »Denken sie nicht«, antwortete Leander ruhig. »Ich habe die Zeit angehalten. In besonders ernsten Fällen können wir das. Für wenige Sekunden. Ich zähle bis hull und dann rennst du los. Vier, drei, zwei, eins – lauf!«
    Blitzschnell drehte er sich zur Seite, gab mir noch einmal Schwung und ich flitzte auf das Fenster zu. Hinter mir begann die Taube zu gurren und das Tuckern der Rheinfrachter schallte wieder durch die Luft.
    Es war genau, wie Leander es vorhergesagt hatte. Die eine Dachplatte gab nach, aber ich war darauf vorbereitet und federte die Bewegung ab. Der Sprung vom Dach auf die erste Feuerleiter war gewagt, doch wenn jemand balancieren konnte, dann ich. Ich breitete meine Arme aus und stand. Neben mir flimmerte es bläulich. Er konnte es also nicht lassen und überwachte mich …
    Dann begann ich zu fliegen – eine Feuerleiter, die zweite, die dritte, Salto, Boden, abrollen … ja, zum ersten Mal überhaupt rollte ich so ab, dass ich mir nicht wehtat, dass es sich weich und elastisch anfühlte. Mit einem allerletzten Sprung kam ich zurück auf meine Füße. Ich keuchte vor Anstrengung und meine Mundwinkel taten beinahe weh vor lauter stillem Lachen.
    Die Jungs guckten mich an, als hätten sie ein Gespenst erblickt. Davids Freunde wechselten murmelnd ein paar Worte. Es klang anerkennend, dieses Murmeln.
    Und David? David streckte mir seine Hand hin. Ich schlug ein.
    »Magnifique«, sagte er. »Magnifique. Un petit diable rouge.«
    »Was sagt er?«, fragte Guiseppe mit rauer Stimme.
    »Dass das gut war und ich ein kleiner roter Teufel bin«, antwortete ich und schaute ihn direkt an. »Du hast Scheiße gebaut, Seppo, absolute Scheiße. So was macht man nicht unter Freunden.«
    Er senkte den Kopf und brummelte irgendetwas Unverständliches.
    »Mann, Katz, das war der Hammer«, nuschelte Serdan und kratzte sich am Hinterkopf. »Wie du auf einmal über das Dach geschossen kamst und auf den Feuerleitern balanciert bist … boah … wenn die den Film auf YouTube stellen, wirst du berühmt …«
    »Ach, so ein Quatsch«, kicherte ich vergnügt. »Guck doch – der ist berühmt. – Bitte zeig uns was, David«, bat ich ihn auf Französisch. Und das tat er auch. Nachdem die Kamera ausgeschaltet und verpackt war, gab er uns Tipps, wie wir uns besser aufwärmen konnten, übte mit uns das Abrollen aus verschiedenen Höhen und erzählte uns, wie man Runs in der freien Natur machte, bevor er selbst mit seinen eigenen Moves das Gebäude überquerte und mir fast Tränen in die Augen traten, weil ich genau wusste, dass ich noch Jahre brauchen würde, bis ich mich so bewegen konnte wie er. Auch die Jungs waren anschließend mucksmäuschenstill.
    Nachdem David sich verabschiedet und uns zu seinem Training eingeladen hatte – übermorgen, und natürlich würden wir kommen, und zwar alle vier –, wollte ich nur noch nach Hause, etwas essen, Musik hören und den Triumph über Seppo genießen. Die Jungs blieben am Rhein, obwohl es schon dunkel wurde, und trainierten verbissen weiter.
    Ich trabte pfeifend in Richtung Stadt und freute mich ausnahmsweise sogar auf Mamas rosaroten Weihnachtsirrsinn.
    »Bist du da?«, fragte ich leise, als die Jungs außer Hör- und Sichtweite waren und sich in nächster Nähe weder Kinder noch Jugendliche befanden.
    »Natürlich bin ich da.« Leander tauchte neben mir im Halbdämmer des hereinbrechenden Abends auf. »Hi, Luzie.« Der blaue Schimmer auf seiner Haut war fast vollständig verschwunden und er sah müde und hungrig aus.
    »Was war das eben? Ich meine – dieses Zeitzurückdrehen. Warum konntest du das?«
    Leander blieb stehen.
    »Luzie … ich bin nicht weggegangen, weil ich dich alleinlassen wollte.«
    »Kein Problem. Ich wollte ja, dass du gehst.«
    »Trotzdem. Ich wusste in diesem Moment, dass du den Parkour machen würdest und dass ich dich nicht davon abhalten konnte. Also bin ich tagelang durchsichtig in der Kälte umhergeschwirrt und nach einigen Nächten habe ich gemerkt, dass ein paar meiner alten Fähigkeiten zurückkehren – aber nur, wenn ich immer in der Luft bleibe und mich keinem Menschen nähere. Ludwigshafen stinkt gewaltig in hundert Metern Höhe, das kannst du mir glauben …« Er rümpfte angeekelt die Nase. »Als ich genug alte Kräfte beisammenhatte und wusste, dass der Tag X gekommen war, hab ich dich angepeilt, mir angehört, was du vorhast, schnell das Gebäude inspiziert, die Zeit angehalten – und jetzt, jetzt …« Er gähnte
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