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Verderbnis

Titel: Verderbnis
Autoren: Mo Hayder
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wirkliche Entführer sei der gefährlichste Mann, den man sich nur denken könne, einer, der zu allem fähig war und sich verkleidete, wie er wollte. Unter keinen Umständen dürften sie im Seesack irgendein Geräusch machen, wenn sie sich nicht verraten wollten.
    Es hatte eine Weile gedauert, bis Martha ihm glaubte. Emily hatte Prody im Safe House als Polizisten kennengelernt und seine Geschichte sofort geschluckt. Er hatte ihnen Bonbons geschenkt, während er ihnen all das erzählte, und war freundlich gewesen.
    »Setzen Sie sich.« Der Walking Man holte Teller unter dem Baumstamm hervor. »Setzen Sie sich hin.«
    Caffery hockte sich auf eine dünne Isomatte. Der Boden war gefroren. Der Walking Man stellte Konserven und Teller auf den Boden, um das Essen zuzubereiten, sobald das Feuer hell genug brannte. Er nahm seinen Becher Cider und ließ sich ebenfalls nieder.
    »Und so …« Er wedelte mit der Hand und deutete auf das Fabrikgelände, das die Polizei abgesucht hatte. »Dafür? Dafür, dass Sie das für mich getan haben? Was gebe ich Ihnen da? Nicht meinen Zorn, das steht fest. Ich muss meinen Zorn zurücknehmen und hinunterschlucken.«
    »Was können Sie mir geben?«
    »Ihren Bruder kann ich Ihnen nicht zurückgeben. Ich weiß, das ist Ihre Hoffnung, aber ich kann Ihnen nichts über ihn sagen.«
    »Sie können nicht, oder Sie wollen nicht?«
    Der Walking Man lachte. »Ich hab’s Ihnen gesagt, Jack Caffery, und ich werde mir darüber noch den Mund fusslig reden: Ich bin ein Mensch, kein Übermensch. Glauben Sie, ein ehemaliger Sträfling, der sein elendes Leben auf den Landstraßen des West Country fristet, kann wirklich wissen, was vor dreißig Jahren mit einem Jungen passiert ist? Mehr als hundert Meilen weit von hier, in London?«
    Der Walking Man hatte recht. In seinem Hinterkopf hatte Caffery wirklich geglaubt, dass dieser undurchsichtige Landstreicher mit der sanften Stimme auf irgendeine Weise etwas wissen könnte über das, was vor all den Jahren passiert war. Er hielt die Hände übers Feuer. Sein Auto stand hundert Meter weit weg und war von hier aus nicht zu sehen. Myrtle befand sich nicht mehr darin; sie war wieder bei den Bradleys. Albern, aber der verdammte Hund fehlte ihm.
    »Dann erzählen Sie mir von dem Kreis. Von dem hübschen kleinen Kreis. Dass es ein hübscher Kreis ist, wenn ich die Frau beschütze.«
    Der Walking Man lächelte. »Es ist gegen meine Grundsätze, Ihnen etwas umsonst zu geben. Aber dies ist eine Ausnahme, denn Sie haben mir geholfen. Also bin ich großzügig – und sage Ihnen ganz offen, dass ich gesehen habe, was in jener Nacht passiert ist.«
    Caffery starrte ihn an.
    Der Walking Man nickte. »Der Mühlstein am Hals Ihres Dezernats? Die Hübsche? Ich hab sie sterben sehen.«
    »Wie denn das ? Wie, zum Teufel, konnten Sie …«
    »Ganz ruhig. Ich war da.« Er wedelte mit einem knorrigen Finger in der Luft herum und deutete nach Süden, Richtung Wiltshire. »Oben auf einer Anhöhe, mit meinem eigenen Kram beschäftigt. Ich hab’s Ihnen ja gesagt: Sie brauchen nur Ihren Kopf zu öffnen. Öffnen Sie ihn, und plötzlich ist er voll von Wahrheiten, mit denen Sie nie gerechnet hätten.«
    »Wahrheiten? Mein Gott, wovon reden Sie? Was für Wahrheiten?«
    »Von der Wahrheit, dass es nicht die Frau war, die Ihren Mühlstein umgebracht hat.« Das Gesicht das Walking Man leuchtete rot im Feuerschein. Seine Augen funkelten. »Das war ein Mann.«
    Caffery atmete langsam ein und aus, ohne eine Miene zu verziehen. Ein Mann. Alles in seinem Kopf fügte sich zu einem Muster, das plötzlich ganz einfach aussah. Ein Mann hatte Misty zu Tode gefahren? Und Flea hatte ihn gedeckt? Das dürfte ihr Bruder gewesen sein, dieses Arschloch. Ohne Zweifel. Diese Erkenntnis kam so mühelos, so wenig überraschend, als wäre sie immer schon da gewesen und hätte nur darauf gewartet, mit sanfter Hand ans Licht geholt zu werden.
    »Und, Mr. Caffery, mein freundlicher Polizist?« Der Walking Man schaute zu den Ästen hinauf, die vom Feuer orangerot leuchteten. »Was halten Sie von dieser Wahrheit?« Er drehte sich um und lächelte ihn an. »Einen Punkt, an dem Sie stehen können? Oder einen, an dem Sie anfangen können?«
    Caffery schwieg sehr lange. Er überlegte, was das bedeutete. Fleas verdammter Bruder war es gewesen. Er dachte an seinen Zorn, an all die Dinge, die er ihr sagen wollte. Er stand auf, ging zum Rand des Wäldchens und starrte in den Himmel. In der Ferne, bei dem längst vergessenen Wor
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