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Verderbnis

Titel: Verderbnis
Autoren: Mo Hayder
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auf dem Stumpf ihnen gegenüber niederließ. Janice schob die Hände ins Haar und klapperte mit den Zähnen. Caffery stützte die Ellbogen auf die Knie, beugte sich vor und schaute die Frauen durchdringend an. Nick ertrug es nicht und senkte den Blick.
    »Es tut mir leid, dass wir so lange gebraucht haben, um Ihre Töchter zu finden. Ich bedaure es zutiefst, dass Sie so lange warten mussten.«
    »Sagen Sie es«, bat Janice. »Bitte. Sagen Sie es einfach.«
    »Ja.« Caffery räusperte sich. »Prody hat eine Grube ausgehoben. Am Rand des Kanals. Sie ist klein, und er hat ein Stück Wellblech darübergelegt. Und darin haben wir einen Seesack gefunden. Da hat er sie hineingesteckt, beide, und sie sind …«
    » Bitte , lieber Gott«, flüsterte Janice. » Bitte , lieber Gott.«
    Er sah sie zerknirscht an. »Sie sind sehr traurig, haben große Angst und großen Hunger. Und vor allem wollen sie zu ihrer Mum.«
    Janice sprang auf. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
    »Janice, warten Sie. Lassen Sie die Ärzte …«
    Sie drängte sich an ihm und Nick vorbei und rannte mit flatternder Jacke auf die Lichtung zu. Auch Rose riss sich los und folgte ihr. Sie weinte, als sie die Böschung hinaufhastete. Irgendjemand lachte, und es klang glücklich, überschwänglich. Drei Männer schlugen einander auf die Schultern. Zwei Polizisten sahen die Frauen kommen und streckten die Hände aus, um sie zwei Schritte vor dem Schachtrand aufzuhalten. Und diesmal waren ihre Gesichter nicht verschlossen und konzentriert, sondern lächelten.
    »Warten Sie hier. Sie können alles sehen, aber warten Sie hier.«
    Die beiden Flaschenzüge an den Dreifüßen arbeiteten immer noch. Ein behelmter Kopf erschien, und ein Mann krabbelte auf den Knien heraus. Er hielt einen Infusionsbeutel in der Hand, drehte sich zum Schachtrand um und wartete darauf, dass das Oberflächenteam die Trage zwei Schritte neben der Schachtmündung auf den Boden senkte. Da war Martha, eingewickelt in eine Aludecke, mit starrem Gesicht und verstört von den Geräuschen und dem hellen Licht. Eine Frau in einer grünen Hose und einer wasserfesten Jacke schrie irgendetwas, und plötzlich wimmelte es von Sanitätern. Aus Roses Kehle drang eine Art Würgen, bevor sie an den beiden Männern vorbeistürmte, die Hände ignorierend, die sie zurückzuhalten versuchten. Neben der Trage fiel sie auf die Knie und warf sich quer über Marthas Brust, stammelnd und weinend.
    Im Schacht rief jemand. Das zweite Oberflächenteam beugte sich über die Öffnung, und wieder kam ein Kopf mit einem roten Helm zum Vorschein.
    »Hau- ruck « ! , rief jemand. »Gut so – hau- ruck !«
    Und wieder schoss der Kopf des Mannes einen halben Meter herauf. Janice konnte nicht mehr atmen. Der Mann hatte den Kopf schräg gelegt und konzentrierte sich auf das, was unter ihm vorging. Noch eine Drehung der Winde am Flaschenzug, und das hintere Ende der Trage erschien; es drehte sich und stieß an die Schachtwand. Der Mann an der Winde langte hinunter, um danach zu greifen. Dabei drehte sich die Trage noch einmal ein kleines Stück, und da war Emilys Gesicht.
    Der harte Knoten aus Trauer, Angst und Schrecken in Janices Herz platzte auf und strömte in ihren Körper. Sie musste eine Hand ausstrecken, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und auf die Knie zu fallen. Emilys nasses Haar war zurückgestrichen, und ihr Gesicht wirkte blass. Aber ihre Augen leuchteten hell und lebendig. Sie nahmen alles wahr, was ringsum passierte, die gähnende Tiefe unter ihr und die Leute am Rand des Schachts. Der Mann, der mit ihr am Seil hing, sagte etwas zu ihr. Sie drehte sich um, sah ihm ins Gesicht und lächelte.
    Sie lächelte. Emily lächelte .
    Janice stand im Gras, und etwas floss warm an ihrem Rückgrat empor. Sie spürte, wie diese Wärme ihre Brust öffnete und ihr Herz wieder atmen ließ. Wie in dem Traum, den sie gehabt hatte. Emily schaute sie an – schaute ihr in die Augen.
    »Mum«, sagte sie nur.
    Janice hob die Hand und lächelte. »Hey, Baby«, sagte sie. »Du hast uns gefehlt.«

83
    D ie pharmazeutische Fabrik lag in einer flachen Senke auf dem trockenen Plateau des südlichen Gloucestershire, eine Enklave der Industrialisierung, winzig inmitten der königlichen Jagdreviere, die einen großen Teil des Countys bedeckten. Die Polizei hatte Bodenradar und Leichensuchhunde aus dem fernen London kommen lassen, um sie hier einzusetzen. Den ganzen Tag über hatten sie gearbeitet, das Gelände mit Lasertheodoliten
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