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Verbrecher und Versager.

Verbrecher und Versager.

Titel: Verbrecher und Versager.
Autoren: Felicitas Hoppe
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Anhalten zwingt. Und weil ich die Zeit nicht für dumm verkaufe, bleibe ich stehen und drehe mich um.
    Denn von Totengräber zu Totengräber ist die letzte Frage immer dieselbe: Ich will wissen, was aus ihm geworden ist. Sie haben mir seine Perücke versprochen, sagt die Frau und zieht Meisters Bild aus der Tasche. Dabei weiß sie natürlich viel besser als ich, was aus Meister geworden ist: Orientalischer Kunst- und Lustgärtner zu Dresden, Kreuzzeichen schlagend versehen mit Ehren, behängt mit Perücken, während ich nicht von hier bin, sondern nur auf der Flucht, unterwegs in die Gruben von Sonderhausen. Gleich kommt die nächste Trinkstation, von oben scheint schnurgerade die Sonne, und indem mein Blick jetzt zu Boden geht, sehe ich, was sie schon lange sieht. Dass wir beide keine Schatten mehr haben, weshalb es auch fast keine Mühe kostet, den Rucksack von den Schultern zu nehmen und einfach das Wörterbuch wegzustecken, dahin, wo neben Meisters Sichel der gründlich versteckte Kompass liegt.

    Hombre

    F RANZ J OSEPH E RNESTUS
ANTONIUS EMERENTIUS MARIA KAPF
(1759-1791)

    S ie fragen nach meinen Untermietern? Der eine heißt
    Schiller, der andere Kapf, den hat Schiller letzte Nacht mit nach Hause geschleppt, Arm in Arm und sechs Vornamen singend. Franz Joseph Ernestus Antonius Emerentius Maria Kapf ist in Bayern bei den Jesuiten gewesen, die haben den Kindskopf mit Ideen gestopft, Manieren hat er so wenig wie Schiller. Hohe Karlsschule, wo man die Helden im Bündel schneidert. Erst Männer züchten wie Bäumchen, dann biegen, bis man kein Rauschen mehr hört, danach mit dem Rohrstock in Stücke hauen, dann kann man das Feuerholz versteigern. Die einen aufs Schiff nach Amerika, was übrig bleibt, an die Nachbarn verkaufen, Hollands Ostindienkompanie, da ist Geld, wie man hört, die brauchen Soldaten und schicken sie weiter nach Afrika.
    Aber solange sie noch Zuhause sind, nur schmutzige Stiefel und Großsprecherei. Ein paar Preise für taktische Philosophie, Medaillen für Kriegsrecht und geographisches Fechten. Schiller hat vier, Kapf sogar acht. Im Spaziergang zerhaut er die Regentropfen und wird auch ohne Schirm nicht nass. Kapf ficht sich glatt unterm Unglück weg, hält sich, wohin er kommt, für den Sieger und will ein Begleiter von Damen werden, dabei riecht er nach Pferd. Ich habe ihn trotzdem aufgenommen, aus Mitleid oder womöglich aus Liebe, weil er ein Zwilling von Schiller ist. Sollen sie sich das Zimmer teilen, Medikus Schiller und Kapf, mein Soldat, der sich seit gestern Nacht damit brüstet, dass er von beiden der Ältere ist. Reißt die Arme von der Hosennaht weg, erst nach vorn, dann nach oben und schreit, ich bin ein Januarkind, die Eins und der Anfang. Schiller ist erst im November geboren, ein trüber Monat, schreit Kapf, der aus Kindern nicht Männer, nur Dichter macht.
    Kapf hält nichts vom Dichten, schreibt stattdessen Pamphlete gegen alles, woran er sich selber nicht hält, wenn er nachts beim Wein zu den Waffen greift, das enge Zimmer zum Schlachtfeld macht und mit wenigen Hieben erst die Vorhänge links, dann die Vorhänge rechts, von oben nach unten in Hälften haut. Vier, ruft er, sind doch viel schöner als zwei, liebe Frau Vischer, das sehen Sie doch, und ich sage, Kapf, das kommt mit auf die Rechnung. Kapf trinkt und prügelt und predigt für zehn, von Aufbruch und Ausfahrt und fernen Ländern und wie man die Welt erobern muss, indem man die Menschen ans Glauben bringt, weil so wenig Glaube in Übersee ist. Heidenmissionar möchte er werden, und ich sage, Kapf, geh nach Afrika, da ist es heiß, auch Kindsköpfe schrumpfen. Die Welt, was ich lese, ist groß, sechs Vornamen und ein Degen im Mantel, unterwegs die Gebete ins Meer geworfen. Ein unterhaltsamer Gott, der tags Predigten hält und nachts beim Wein die Karten traktiert.
    Hombre heißt jetzt ihr Lieblingsspiel, weil das Denken und Dichten so müde macht, das Kartenspiel aber bringt Schiller und Kapf auf neue Gedanken. Die Regeln habe ich nicht begriffen, dafür den Lärm, der mich schlaflos macht, wenn es nachts in die nächste Runde geht. Manchmal schleiche ich mich die Treppe hinunter, knie mich hinter das Schlüsselloch und verstehe so viel, dass man bietet und kämpft und schlägt und verliert.
    Jede Nacht verliert Kapf seine Schlüssel, dann bittet er mit den Füßen um Einlass, schon dreimal hat er die Tür eingetreten. Inspiration!, schreit er, Schiller muss lernen, die Bühne zu denken, ich spiele es vor, und er
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