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Venice Beach

Venice Beach

Titel: Venice Beach
Autoren: P Besson
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entschlüpfen einem, ohne dass man sie ruft. Und warum auch nicht? Man hat doch dasRecht, sich gehen zu lassen. McGill hat den Kopf abgewandt, die Unterhaltung wurde ihm zu intim.
     
    Ehe ich auflegte, sagte ich noch: »Pass auf dich auf.« Und in diesen einfachen Worten lag alles, was wir einander waren.

 
    Ich schaute aus dem Fenster. Der Himmel war milchig. Die riesigen Palmen entlang der Avenue zitterten. Vom Meer wehte eine leichte Brise herüber. Aber bald würde es klar werden. Ich kannte diese zögerlichen Morgen zur Genüge, die strahlende Tage einleiteten.
     
    McGill stellte einen mit dampfendem Kaffee gefüllten Becher für mich auf die abgewetzte Holzplatte des Schreibtischs und setzte seinen an die Lippen. Ich schätzte seine Diskretion und seine Freundlichkeit. Er war älter als ich, aber die Qualifikation hatte mich zum Vorgesetzten gemacht. Er hatte die untergeordnete Stellung akzeptiert, ohne sich dagegen aufzulehnen. Er war keiner, der die Ordnung der Dinge in Frage stellte. Er respektierte die Dienstgrade. Und ziemlich rasch hatte er eingesehen, dass ich kein schlechter Polizist war. Wir verstanden uns gut, er und ich.
     
    Wir sind die Vorgeschichte des Opfers noch einmal durchgegangen. Prostitution, Handel mit Shit, ein bescheidenes Strafregister. McGill sagte mir, dass wir noch vor Ende des Tages die Ergebnisse der Autopsie erhalten würden. Er versprach sich davon keinerlei neue Erkenntnisse. Man würde uns bestätigen, dass der kleine Greenfield mit einem stumpfen Gegenstand am Kopf getroffen worden war undder Tod infolge der Verwundung ungefähr gegen vier Uhr morgens eingetreten sei. Er hoffte lediglich, dass uns Fingerabdrücke wertvolle Indizien liefern würden, auch wenn zu vermuten stand, dass sich nicht wenige Hände an diesem Körper, an diesen Kleidern zu schaffen gemacht hatten. Prostituierten mangelt es buchstäblich nicht an Verkehr.
     
    Ich hatte nicht das Gefühl, McGill sei besonders beunruhigt. Iren sind im Alter von fünfzig Jahren, auch wenn sie sich in ihrer Jugend manchmal sehr impulsiv verhalten haben, häufig gelassen und zuversichtlich. Er schlug nicht aus der Art. Mit seinem schleppenden Tonfall wiederholte er: »Die Bösewichte werden am Ende immer erwischt.« Er hatte nicht ganz Unrecht. In diesem Fall baute er darauf, dass die zahlreichen Überwachungskameras, die an den Fassaden und den Zäunen der Villen des Boulevards angebracht waren, uns einen eindeutigen Schuldigen liefern würden. Er sollte sich nicht verrechnen. Und wer weiß, ob sich nicht auch noch unaufgefordert Zeugen melden würden, die uns erzählten, was sie gesehen hatten. Es reichte aus, geduldig zu warten.
     
    Ich teilte seinen Optimismus nicht. Dennoch war etwas Wahres an seiner Analyse: In unseren Tagen ist es sehr schwer, der Wachsamkeit einer Kamera oder der Effizienz der Fingerabdruckdateien zu entkommen. Aber irgendetwas sagte mir, dass wir diesmal kein Glück haben würden. Und dass unser Mörder schwieriger zu schnappen sein würde, als wir annahmen. Es war nur eine Ahnung, und ich hatte zu wenig Berufserfahrung, um mich darauf zu verlassen. Der weitere Verlauf sollte mir jedoch zeigen, dass ich mich nicht täuschte.
     
    Die Wolken vor dem Fenster rissen nach und nach auf und schufen Raum für einen makellos blauen Himmel. Die Palmenwipfel, schon in Sonne getaucht, zitterten nicht mehr. Fürs Wetter hatte ich jedenfalls einen beachtlichen Spürsinn.

 
    An manchen Tagen frage ich mich, ob ich das, was geschehen ist, hätte verhindern können. Ich kehre auf die Strandpromenade von Venice Beach zurück. Die hohen, schäumenden Wellen enden ersterbend zu meinen Füßen. Ich beobachte die Kinder, die sich Frisbeescheiben zuwerfen, sich in den Sand schmeißen, um sie rechtzeitig zu fangen, und der Sand spritzt hoch, und ohne Atem zu holen, werfen sie sie sich zurück. Ich beobachte die Surfer, die aus dem Meer zurückkehren, mit ihren bis zu den Hüften geöffneten Anzügen, die aussehen, als trügen sie an jeder Seite einen Elefantenrüssel; sie triefen und sind erschöpft, ihre Haare sind von der Sonne und vom Salzwasser gebleicht. Ich betrachte die Motels, die Restaurants, die Boutiquen, die weißen Sonnenschirme, die mit Sand bedeckten Stege, die, je nachdem, versengten oder verschimmelten Liegestühle. Und die dunstige Silhouette von Sunset Terrace. Und ich denke daran, was alles geschehen ist. Und ich frage mich immer und immer wieder, ob ich es hätte verhindern können, und die
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