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Venice Beach

Venice Beach

Titel: Venice Beach
Autoren: P Besson
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Antwort ist Nein.
     
    Es gibt Dinge, die man nicht beschließt. Ereignisse, die man nicht kommen sieht. Und wenn sie eintreten oder wenn sie kurz bevorstehen, ist es schon zu spät. Es gibt Wege, die man einschlägt, ohne die Gefahr zu ahnen, alles ringsherum wirkt ruhig, warum sollte man auf der Hutsein? Es gibt Menschen, auf die man zugeht, ohne Angst vor ihnen zu haben, ohne etwas von ihnen zu erwarten, in der Überzeugung, ihnen nie wieder zu begegnen, und dann, eines Tages, sind sie erneut da, stehen vor einem, und man ist überrascht, aber nicht beunruhigt, man reicht ihnen die Hand, trinkt ein Glas miteinander oder bietet sich gegenseitig Zigaretten an oder spricht vom Wetter und davon, wie man sich das Leben vorstellt, und schon ist man tot, ohne es zu bemerken. Es gibt winzige Augenblicke, ganz gewöhnliche Minuten, man hat viele davon erlebt, aber eines schönen Morgens schlägt im Bruchteil einer Sekunde alles um. Harmlos wirkende Momente des Schweigens, es verlangt einen nicht danach, sie zu füllen, man fühlt sich wohl, man blickt etwas zu interessiert, man lässt die Augen einen Moment länger als nötig auf dem anderen ruhen, und mit einem Schlag füllt sich die Stille mit einem Schicksal. Nein, ich hätte nichts verhindern können.
     
    Wenn Sie denken, ich versuche, mich mit meinem schlechten Gewissen zu arrangieren und mir billige Entschuldigungen auszudenken, dann irren Sie. Ich beabsichtige weder zu klagen noch Bedauern auszudrücken. Ich stelle nur meine Ohnmacht fest. Ich hatte im Grunde keine Wahl, ich bin in diese Spirale hineingezogen worden. Ich bin hineingeraten, ohne es zu bemerken.
     
    Gewiss, ich habe mehrmals die Gelegenheit gehabt, aus der Sache herauszukommen, und ich habe sie nie ergriffen. Ich hätte gehen können, klar, und ich habe es nicht gemacht. Letzten Endes bin ich allein schuld an der Katastrophe. Nur, man lässt die Hand des Typs, der im Treibsand versinkt,nicht so einfach los. Man versucht, ihm herauszuhelfen, auch wenn man dabei riskiert, selbst unterzugehen.
     
    Und außerdem übt der Treibsand manchmal auch eine Faszination aus, der man nicht widerstehen kann.
     
    Einer der Jungen wirft seine Frisbeescheibe in die falsche Richtung, sie landet vor meinen Füßen, ich hebe sie auf und reiche sie dem Kind, das mich misstrauisch mustert und abzieht, als wäre ich ein Penner oder ein Perverser. Und ich entdecke die vollkommene Unschuld des Kindes, seine Reinheit. Ich entdecke alles, was ich verloren habe.

 
    Am Tag des Verbrechens habe ich mit McGill zur Mittagessenszeit die Wohnung des Opfers aufgesucht. Sie befand sich in Downtown, nicht weit vom MacArthur-Park, dem Treffpunkt der Dealer und Gangs. Eine Gegend mit einem wirklich schlechten Ruf. Unwillkürlich habe ich mich gefragt, warum der Kleine in der Nähe von Hollywood auf den Strich ging, wo hier alles, was er brauchte, direkt vor seiner Tür lag. Er hatte offenbar einen Hang zur High Society und zog es vor, in schönen Laken zu schlafen.
     
    Das Apartment war in der vierten Etage eines Hauses aus Granit, ohne Aufzug, in einer öden Gasse voller Mülleimer. Feuerleitern hingen von der Fassade, einfache Klimaanlagen drehten sich an den Fenstern, eine puerto-ricanische Concierge zog an einer Zigarette und hinterließ Spuren ihres billigen Lippenstifts auf dem Filter.
     
    In ihrer Kartei war vermerkt, dass Billy Greenfield in Pasadena zur Welt kam. Der Weg von Pasadena nach Downtown ist kurz. Es wäre mir lieb gewesen, wenn ich hätte glauben dürfen, er sei in einem ärmlichen Viertel im Schoß einer gewalttätigen Familie aufgewachsen. Dann wäre das Gefühl des Abstiegs in die Hölle weniger niederschmetternd gewesen. Wenn er jedoch eine glücklicheJugend gehabt hatte, warum, zum Teufel, war er dann hierhergekommen und hatte sich in die Höhle des Löwen begeben?
     
    Wir haben das Apartment Nummer 42 gesucht. Die Ziffer 4 war abgefallen, nur die graue Spur des Klebstoffs war noch übrig. Wir brauchten die Tür nicht gewaltsam zu öffnen: Man hatte die Schlüssel in der Tasche seiner Jeans gefunden. Drinnen roch es nach kaltem Tabak, Sperma und schmutzigem Geschirr. McGill öffnete die Fenster, nachdem er zunächst die Vorhänge von undefinierbarer Farbe zurückgezogen hatte. Die einfallende Sonne hat einen Streifen in den Staub gezeichnet, der im Raum schwebte.
     
    Es war ein schäbiges Zimmer: ein ungemachtes Bett, ein Ausguss, ein Kocher, ein Klapptisch, auf dem sich Bierflaschen türmten, ein
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