Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser
Autoren: Jilliane Hoffman
Vom Netzwerk:
Richter war nicht bloß schwierig – er war einfach unmöglich. Selbst an guten Tagen konnten sie einander nicht ausstehen, was nicht verwunderlich war. Farley mochte niemanden, vor allem keine Frauen, und das war auf Dauer ziemlich anstrengend. Vermutlich hätte Julias Leben sehr viel einfacher sein können, wenn sie das getan hätte, was die meisten anderen der ihm unterstellten Ankläger taten: nichts. Sie warteten einfach ab, bis Farleys Wutanfälle vorüber waren, und erhoben, wenn der Richter wieder einmal ein haarsträubendes oder schlichtweg falsches Urteil gefällt hatte, gerade so laut Einwand, dass es der Gerichtsreporter hören konnte. Sollte doch die Rechtsabteilung der Staatsanwaltschaft entscheiden, welchen Murks sie in der Berufung wieder geradebiegen wollten. Unglücklicherweise war Julia nicht der Typ, der den Mund halten konnte. Und somit wurde jeder Tag zu einem Kampf. Farley würde seinen Posten so schnell nicht räumen. Er gehörte hier genauso zum Inventar wie die stählernen Lampen an der Decke des Gerichtssaals, die er im Jahr 1974 selbst hatte aufhängen lassen. Als amtierender Richter konnte Farley weder von einem ehrgeizigen Gegner noch von einer empörten Öffentlichkeit aus dem Amt befördert werden. Lediglich der Oberste Richter – sein Schwager – hatte die Befugnis, ihn zu versetzen. Und bis er starb, konnte Julia nur hoffen, dass sie sich schnellstmöglich zur A-Staatsanwältin bei einem anderen Richter hocharbeiten würde oder gar bei einer der Spezialabteilungen. Leider war mit nichts von beidem in nächster Zeit zu rechnen. Farley tippte mit seinem Stift deutlich hörbar auf den Tisch. Die Menschen im Gerichtssaal spürten, dass Ärger in der Luft lag, und das leise Gemurmel erstarb. Plötzlich waren sie alle sehr daran interessiert, was der Richter zu sagen hatte. Wahrscheinlich deswegen, weil sich sein Ärger nicht gegen sie richten würde.
« Ich habe ein Problem, Euer Ehren», sagte Julia und räusperte sich. Dann sah sie zum Richter auf.
« Meine Zeugin im Fall Powers ist leider nicht mehr zu einer Aussage bereit.»
« Sie hatten am Donnerstag erklärt, in dieser Sache verhandeln zu können.» Eine tiefe Falte grub sich in Richter Farleys runzlige Stirn, und die weißen Einstein-Brauen zogen sich zusammen.
« Ja, das habe ich, Euer Ehren. Da wollte meine Zeugin laut den Unterlagen auch aussagen, aber offensichtlich hat sie ihre Meinung geändert. Ich werde sie noch einmal persönlich vorladen müssen.»
« Und warum haben Sie das nicht schon längst getan?»
« Euer Ehren, wir haben Powers heute an zwölfter Stelle zur Verhandlung festgesetzt. Wenn Sie den Termin auf Ende der Woche verschieben, könnten wir heute Morgen mit Ivaroni oder Singer weitermachen, auf die ich bestens vorbereitet bin. Ich –»
« Sie haben erklärt, dass Sie verhandeln können, Frau Staatsanwältin. Ich verschiebe diesen Fall nicht. Entweder sind Sie bereit oder nicht. Wenn nicht, dann weise ich die Klage ab.» Scott Andrews, der Pflichtverteidiger, lächelte. Ein Fall weniger auf seiner Tagesordnung, und die Chancen der Staatsanwaltschaft, ohne ein Opfer erneut Klage wegen schwerer Körperverletzung einzureichen, waren praktisch gleich null. Julia spürte, dass jeder im Saal sie beobachtete. Im Augenwinkel entdeckte sie Letray Powers, den Angeklagten, mit einem breiten Goldzahngrinsen auf dem pockennarbigen Gesicht. Er hob eine angekettete Hand und klatschte seinen Sitznachbarn ab. Powers war einen Meter neunzig groß und wog hunderzehn Kilo, und sogar unter dem unförmigen orangefarbenen Gefängnis-Overall waren die Muskelpakete zu sehen. Julia warf einen Blick auf ihr rosa Verhaftungsprotokoll und rief sich die Einzelheiten in Erinnerung. Letray war mit einer Rasierklinge auf seine schwangere Freundin losgegangen. Sie biss sich auf die Zähne. Auf ein Neues!, dachte sie und sah dem Richter fest in die Augen.
« Die Staatsanwaltschaft ist zur Verhandlung bereit, Euer Ehren», verkündete sie trotzig.
« Habe ich Sie gerade richtig verstanden?», fragte der Richter und richtete sich in seinem überdimensionierten Lederthron auf.
« Kein Opfer, und Sie wollen trotzdem verhandeln?»
« Euer Ehren, Mr. Powers hat eine lange Vorgeschichte als Gewalttäter, einschließlich Vorstrafen wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, schwerer Körperverletzung und Bedrohung mit einer Waffe, ganz zu schweigen von den drei Verhaftungen wegen häuslicher Gewalt. Er griff seine Freundin mit einer Rasierklinge an,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher