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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser
Autoren: Jilliane Hoffman
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nur weil sie in die Richtung eines anderen Mannes blickte. Seine im fünften Monat schwangere Freundin, wie ich hinzufügen darf. Ihr Gesicht musste mit zweiundsechzig Stichen genäht werden.»
« Offenbar hält sie es trotzdem nicht für nötig, hier zu erscheinen.»
« Sie ist ein Opfer häuslicher Gewalt, Euer Ehren.»
« Sie ist in erster Linie ein Opfer, das nicht anwesend ist, Ms. Valenciano. Und ich habe keine Zeit, auf so etwas Rücksicht zu nehmen. Meine Prozessliste ist lang.»
« Wenn Euer Ehren der Staatsanwaltschaft keinen Aufschub bewilligt, sodass ich Ms. Johnson noch einmal persönlich vorladen kann, bleibt mir keine andere Wahl, als ohne ihre Aussage fortzufahren. Lieber so, als dass die Anklage abgewiesen wird.»
« Und wie wollen Sie das bewerkstelligen, Frau Staatsanwältin?» Richter Farley bemühte sich, seine Wut zu zügeln. Häusliche Gewalt war ein heikles Thema. In einem überfüllten Gerichtssaal bedeutete es schlechte Presse, wenn er unsensibel war. Julia schluckte.
« Ich brauche das Opfer nicht, Euer Ehren.»
« Das habe ich ja noch nie gehört. Ms. Valenciano, hat man es an der Universität versäumt, Ihnen das Thema Corpus Delicti nahezubringen? Und die einzig Geschädigte Ihres Verbrechens will offenbar nicht aussagen.»
« Es gibt Zeugen, die ihre Verletzungen bestätigen können.»
« Und wer sagt darüber aus, wie diese Verletzungen zustande gekommen sind? Hat jemand gesehen, wie das Opfer angegriffen wurde?»
« Ihre Aussage bei der Polizei –»
« Hörensagen», warf der Verteidiger ein. Jetzt starrte der Richter auch ihn wütend an.
« - ist zulässig als eine Äußerung unter Stress», fuhr Julia fort. Im Rechtswesen galt die Annahme, dass Aussagen, die während oder kurz nach einer Stresssituation gemacht wurden, mit hoher Wahrscheinlichkeit der Wahrheit entsprachen. Äußerungen unter Stress waren daher vor Gericht zulässig, auch wenn Aussagen vom Hörensagen normalerweise unzulässig waren. Mit anderen Worten, wenn Billy zusah, wie Suzy den ungedeckten Scheck unterschrieb, reichte es nicht, dass er es dem netten Polizisten erzählte, sondern er musste im Gerichtssaal erscheinen und es dem netten Richter persönlich erzählen, damit seine Aussage der Staatsanwaltschaft nutzte. Ansonsten galt seine Aussage als Hörensagen und hatte vor Gericht keinen Bestand. Von einem Irren mit einer Rasierklinge verunstaltet zu werden, sollte wohl als Stresssituation durchgehen, dachte Julia. Mit Sicherheit würde es ziemlich kompliziert werden, einen Prozess ohne Opfer zu führen und sich nur auf eine Äußerung unter Stress zu berufen, aber sie würde keinesfalls zusehen, wie dieser Mistkerl Letray grinsend hier rausmarschierte und der Richter ihm auch noch einen schönen Tag wünschte.
« Machen Sie keine Mätzchen, Ms. Valenciano. In meinem Gerichtssaal werden keine hypothetischen Fälle verhandelt», bellte Farley.
« Das habe ich auch nicht vor, Euer Ehren.»
« Sind Sie bereit, die Geschworenen auszuwählen?»
« Das bin ich, Euer Ehren.» Der Richter starrte sie lange an. Im Gerichtssaal blieb es ungewöhnlich still.
« Sie wollen also eine Verhandlung? Na schön. Dann morgen früh, neun Uhr.» Der Verteidiger öffnete den Mund, doch Richter Farley kam ihm zuvor.
« Keine Aufregung, Mr. Andrews. Wenn Ms. Valenciano sagt, dass wir auch ohne ihr Opfer verhandeln können, dann verhandeln wir eben ohne ihr Opfer. Morgen früh werden wir ja sehen, was sie vorhat.» Farley sah Julia ohne zu blinzeln an.
« Ivonne», wandte er sich dann an die Gerichtsschreiberin, die an einem Schreibtisch unterhalb der Richterbank saß, « verschieben Sie Ms. Valencianos übrige Verhandlungen auf Mittwoch. Powers wird uns nicht viel Zeit kosten. Wir machen da weiter, wo wir aufgehört haben, und Ms. Valenciano kann die Geschworenen für Ivaroni danach auswählen. Und falls sie auf Ivaroni auch so gut vorbereitet ist wie auf Powers, kommen wir vielleicht sogar noch zu Singer und den anderen zehn Fällen, die sie heute Morgen fertig gehabt haben sollte.» Er drohte Julia mit seinem Stift.
« Wenn Sie mit dem Fall Powers meine Zeit vergeuden, Frau Staatsanwältin», kläffte er mit lauter Stimme, « dann werden Sie sich nicht nur mit dem Doppelbestrafungsverbot herumschlagen müssen. Ich rate Ihnen dringend, die nächsten dreiundzwanzig Stunden dafür zu nutzen, Ihr Opfer zu finden.» Julia trat vom Pult zurück, bückte sich und schleifte die Kisten mit den Prozessakten beiseite, während der Staatsanwalt
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