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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser
Autoren: Jilliane Hoffman
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Erinnerungen. Der ausschlaggebende Grund für den Süden waren natürlich Tante Nora und Onkel Jimmy, die vor ein paar Jahren ganz in ihre Ferienwohnung in Fort Lauderdale übergesiedelt waren. Nach ein paar Monaten stellte Julia fest, dass das, was als Stippvisite geplant war, um auf Staatskosten Erfahrung vor Gericht zu sammeln, zu einem langfristigen Aufenthalt werden würde. Auch wenn es kitschig klang, sie hatte eine Art Berufung gespürt. Die Bezahlung war erbärmlich und die Arbeitszeiten noch schlimmer, egal, was man über die Beamten sagte. Es gab kaum ein Wochenende, an dem sie nicht vor dem Computer saß, und abends kam sie fast nie vor sieben Uhr nach Hause. Wenn sie Verhandlungen hatte, wurde es meist noch später. Trotz all der Nachteile – gereizte Richter, skrupellose Verteidiger, unkooperative Zeugen, undankbare Opfer –, sie hatte am Ende eines Tages oft das Gefühl, dass sie etwas bewegte, und sei es noch so gering. Und manchmal, wenn sie einen wirklich bösen Menschen hinter Gitter brachte, dachte sie, dass sie damit vielleicht ein Leben gerettet hatte, indem sie einen Mord in der Zukunft verhinderte. Als Staatsanwältin lag es in ihrer Macht, die grausame Welt um sie herum zu ändern, und sie glaubte nicht, dass ein Prozess um eine Schmerzensgeldforderung nach einem Einkaufswagenzusammenstoß ihr eine ähnliche Befriedigung verschafft hätte, egal, wie viel Geld dabei für sie raussprang. Nun hatte sie die Chance, mehr aus ihrer Karriere zu machen. Es war ein Angebot, nach dem sich jeder Ankläger aus ihrer Abteilung die Finger geleckt hätte, und noch vor einer Stunde hätte sie keinen Augenblick gezögert. Doch plötzlich war sie unsicher. Der erste Mordprozess war eine Sache; aber der erste Mordprozess vor laufenden Kameras, skeptischen Kollegen und Vorgesetzten, die nur auf einen Patzer lauerten, war etwas anderes. Und dann fiel Julia noch etwas ein. Vielleicht war es naiv von ihr zu glauben, dass ihre kürzlich eskalierte Freundschaft mit Rick Bellido bei diesem Angebot keine Rolle spielte. Bisher wusste niemand davon, aber in der Staatsanwaltschaft wurde viel geredet. Was, wenn die Affäre bekannt wurde? Schlimmer noch – was, wenn sie endete? Und wenn sie ein schlechtes Ende nahm? Tausend Fragen kreisten in ihrem Kopf, tausend Zweifel wollten beschwichtigt werden. Und die ganze Zeit spürte sie die Blicke der beiden Männer, die auf eine Entscheidung warteten, wie in einer schlechten Quizshow, während die Sekunden langsam abliefen. Deine Angst vor dem Versagen darf nie größer sein als die Angst, es nicht versucht zu haben, hatte Onkel Jimmy ihr eingebläut. Onkel Jimmy, der Müllmann aus Great Kills, der nebenbei Philosoph war. Was würde er ihr jetzt raten? Gott, sie wollte nicht versagen, vor allem nicht in aller Öffentlichkeit. Doch eine Chance wie diese konnte sie sich nicht entgehen lassen. Schließlich straffte sie die Schultern. Zum Teufel mit Rifkin und seiner Meinung. Sie würde es schon schaffen.
« Ich verstehe Ihre Bedenken, Mr. Rifkin», sagte sie und sah dem Leiter der Major Crimes in die Augen.
« Aber ich würde diesen Fall gern verhandeln. Und ich versichere Ihnen, meine übrigen Fälle werden nicht darunter leiden.» Rick lächelte.
« Großartig.» Er stand auf und ging zur Tür.
« Bringen Sie Ihre Akten weg. Wir treffen uns in zehn Minuten in der Lobby. Ich möchte Ihnen den Tatort zeigen.» Rifkin schwieg. Wieder machte sich das Frühstück in ihrem Magen bemerkbar, doch sie nickte erwartungsvoll, als hätte sie alle Aufgaben für heute bereits erledigt. Jetzt oder nie. Sie musste ins kalte Wasser springen. Es war keine Zeit, erst ihren Standpunkt zur Todesstrafe auszuforschen, ein paar Episoden CSI nachzuholen oder all den Zweifeln auf den Grund zu gehen, die ihr durch den Kopf tanzten. Es war keine Zeit, ihre Meinung zu überdenken. Sie dankte beiden Männern noch einmal, und dann zog sie los, um ihren Klappwagen wegzubringen. Als sie hörte, wie die Tür sich hinter ihr schloss, atmete sie auf, auch wenn sie wusste, dass das Gespräch dahinter noch lange nicht vorüber war.
KAPITEL 7
    S IE SCHOB den Klappwagen an die Wand neben das große Regal mit den überfüllten Kisten – all die lästigen Abschlussberichte, die sie noch ausfüllen musste. Dann nahm sie ihre Handtasche aus der Schreibtischschublade, stieg über weitere Kartons und ging eilig hinaus.
« Ich komme wieder!», rief sie ihrer Sekretärin Thelma zu, die auf ihrem tragbaren Fernseher die Jerry
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