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Vater, Mutter, Tod (German Edition)

Vater, Mutter, Tod (German Edition)

Titel: Vater, Mutter, Tod (German Edition)
Autoren: Siegfried Langer
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in einem orangefarbenen Mülleimer der Berliner Stadtreinigung.
    *
    Ihren Wagen parkte sie wie immer in der Tiefgarage, direkt unterhalb des Bürogebäudes. Obwohl sie das Architekturbüro nicht täglich besuchte – vieles erledigte sie von zu Hause aus –, hatte sie einen festen, nur für sie reservierten Platz. Auf ihrem Weg zum Fahrstuhl sah sie aus der Ferne einen grau gekleideten Mann vom Sicherheitsdienst, der zusammen mit einem Schäferhund seine Runde drehte. Das Klacken ihrer Absätze hallte durch die weitläufigen Räume. Der Uniformierte drehte sich zu ihr um, musterte sie kurz und wandte sich wieder ab.
    Sie betrat die Aufzugkabine – und ertappte sich dann dabei, dass sie auf die Zahlenleiste starrte.
    Sie wusste nicht, welche Sensortaste sie berühren sollte.
    Sie hatte das Gefühl schon einmal gehabt. Vor etwa acht Wochen. Die Geheimzahl ihrer EC -Karte war ihr nicht mehr eingefallen; und nur deshalb, weil sie sich am Geldautomaten auf die Zahl konzentriert hatte. Solange sie die vierstellige Kombination über Monate hi nweg unbewusst eingetippt hatte, war es kein Problem für sie gewesen, sie im Gedächtnis zu behalten.
    Es war ihr peinlich gewesen , vor ihrem Bankberater zugeben zu müssen, dass sie sich selbst die Karte gesperrt hatte, weil sie einmal zu oft die falsche Ziffernfolge ausprobiert hatte.
    Daran musste sie nun denken.
    Dann drückte sie – ganz instinktiv – die ›7‹.
    Völlig geräuschlos glitt der Fahrstuhl nach oben. Sie betrachtete ihr Gesicht in den verspiegelten Wänden und wischte sich mit dem Mittelfinger eine Wimper von der Wange.
    Im siebten Stockwerk angekommen, wandte sie sich nach links und passierte eine Glastür. Sie fand sich vor einem Tresen wieder.
    Eine Frau in einem weißen Kittel saß dahinter und schrieb in kleinen Buchstaben etwas in einen überdimensionierten Terminkalender. Sie blickte auf. An ihrer Brust haftete ein Namensschild, das sie als ›Schwester Ramona‹ auswies.
    »Guten Morgen! Haben Sie einen Termin?«
    »Wie bitte? Was?«
    »Ob Sie einen Termin haben.«
    Jacqueline wusste nicht, was diese Frau von ihr wollte, geschweige denn, wo sie war.
    »Oder haben Sie akute Schmerzen? Dann können wir Sie auch so drannehmen. Sie müssten allerdings etwas warten.«
    Schwester Ramona starrte Jacqueline erwartungsvoll an.
    »Waren Sie schon mal hier bei uns?«, fragte sie dann.
    »Ich … ich weiß nicht.«
    Mit Befremden registrierte Jacqueline, dass sie stotterte.
    »Sagen Sie mir bitte Ihren Namen?«
    »Adam«, antwortete Jacqueline nach einem Augenblick des Zögerns.
    Die Sprechstundenhilfe drehte sich zur Seite und tippte etwas in eine Computertastatur.
    »Vorname?«
    »Jacqueline.«
    »Nein«, vermeldete sie nach einer kurzen Suche. »Ich finde Sie nicht in der Datenbank. Dann bräuchte ich bitte Ihr Krankenkassenkärtchen.«
    Sie musterte Jacqueline und ergänzte: »Oder sind Sie privat versichert?«
    »Privat.«
    Langsam wurde sich Jacqueline der Situation bewusst.
    »Wo bin ich hier?«, fragte sie.
    Jacqueline sah in das verwirrte Gesicht ihres Gegenübers und vermutete, dass sie selbst keinen weniger konfusen Eindruck vermittelte.
    »Ich verstehe nicht«, sagte Schwester Ramona.
    »Das hier ist eine Arztpraxis«, sagte Jacqueline in einem Tonfall, als würde sie verkünden, ihr wäre die Entwicklung eines Heilmittels gegen Krebs geglückt.
    »Äh, ja, das ist eine Arztpraxis.« Die Sprechstundenhilfe runzelte die Stirn, dann ergänzte sie: »Eine Zahnarztpraxis.«
    »Eine Zahnarztpraxis?«
    »Wo wollten Sie denn hin?«
    »Zur Arbeit. In mein Büro. Ich bin Architektin.«
    »Eine Etage über uns ist ein Architekturbüro.«
    Erst jetzt wurde Jacqueline klar, dass ihr diese absurde Situation den Atem geraubt hatte. Sie schnappte nach Luft. Dann lachte sie schallend auf.
    »Oje, dann bin ich ein Stockwerk zu früh ausgestiegen.«
    Schwester Ramona wirkte nun deutlich erleichtert.
    »Und ich dachte schon … Sind ja genügend Psychopathen in dieser Stadt unterwegs.«
    »Ich bin schlicht und einfach ein Stockwerk zu früh ausgestiegen«, wiederholte Jacqueline, als müsse sie es sich selbst bestätigen. »Es tut mir leid wegen der Aufregung.«
    »Hat sich ja zum Glück alles aufgeklärt.«
    Jacqueline verabschiedete sich und verließ die Zahnarztpraxis.
    Zurück in der Aufzugkabine, berührte sie erneut das Feld mit der Ziffer 7. Doch die Fahrstuhltür schloss sich nicht.
    Der Aufzug ist defekt, dachte sie, deswegen hat er in der falschen Etage
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