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Vater, Mutter, Tod (German Edition)

Vater, Mutter, Tod (German Edition)

Titel: Vater, Mutter, Tod (German Edition)
Autoren: Siegfried Langer
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unterdrückten englischen Akzent wieder Tür und Tor. Da Jacqueline seit Jahren mit ihm zusammenarbeitete, hatte sie ganz vergessen, dass er kein deutscher Muttersprachler war.
    »Ich wusste gar nicht, dass du deutsche Sprichwörter kennst.«
    »Oh, meine liebe Star-Architektin, ich bin sogar des Französischen mächtig. Ich sage nur zwei Worte.«
    Simon setzte sich gerne in Szene, so auch diesmal. Genüsslich wartete er einige Sekunden ab, um die Spannung zu erhöhen.
    Dann kam er auf sie zu, hielt ihr sein Glas entgegen und Jacqueline stieß das ihre sanft dagegen.
    Ein leises Klirren, dazu sein Kommentar: »›Le Mirage‹! Santé!«
    »Nein«, sagte Jacqueline überwältigt.
    »Mais oui, Madame.«
    Das Projekt am Flughafen. Tatsächlich.
    »Heute Morgen kam der Anruf aus Paris. Sie erwarten kleine Nachbesserungen, aber sie haben sich für unseren Entwurf entschieden. Eigentlich sollte ich sagen: für deinen.«
    Jacqueline fühlte Glück. Eine gewaltige Woge davon erfüllte sie.
    »Es war unsere gemeinsame Arbeit«, berichtigte sie.
    »Na, na, na, Frau Adam«, dröhnte von der Seite die sonore Stimme von Herrn Vogt, »da schließe ich mich doch gleich dem Spruch mit der Bescheidenheit an.«
    »Entschuldige, dass wir bereits ohne dich angefangen haben«, sagte Simon, »aber die Euphorie hat uns übermannt.«
    »Kein Problem«, entgegnete Jacqueline und nahm endlich einen Schluck Veuve Clicquot.
    Der Champagner verstärkte ihr Glücksgefühl.
    Sie dachte kurz an ihre Hochzeit mit René und an die Geburt ihres Sohnes. Dass das ›Le Mirage‹ nun nach ihren Plänen am Berlin Brandenburg International gebaut werden sollte, war ein weiterer Höhepunkt in ihrem Leben.
    Sie genoss den Augenblick.
    Im Rampenlicht zu stehen gefiel ihr. Eine wunderbare Würdigung ihrer Arbeit. Auch wenn sie nach außen hin die Bescheidene gab: Sie meinte, die Anerkennung und die Aufmerksamkeit verdient zu haben.
    Simon goss nach. Jacqueline war nicht aufgefallen, dass sie das Glas vollständig geleert hatte.
    »Das mit Abstand größte Auftragsvolumen, das dieses Büro jemals hatte«, konstatierte Herr Vogt.
    Ein Lob aus seinem Munde, freute sich Jacqueline, während ihr der Champagner langsam zu Kopfe stieg.
    »Kann mich mal jemand festhalten, damit ich nicht zur Decke schwebe?«
    Sie erntete Kichern und fröhliches Lachen.
    »Festhalten?«, fragte Herr Vogt. »Ich werde Sie anketten und die Türen verschließen!«
    Hatte er tatsächlich mitgelacht?
    Sie beschloss, diesen wunderbaren Moment für einen wohlinszenierten Abgang zu nutzen.
    »Dann wartet ja nun jede Menge Arbeit auf mich.«
    In sachlichem Ton wandte sie sich an Frau Paczoska, eine der beiden Sekretärinnen: »Haben Sie mir die Unterlagen aus Paris bereits kopiert?«
    Die Sekretärin erschrak.
    »Mache ich sofort, Frau Adam.« Und schon war sie aus Simons Büro verschwunden.
    Den Sektkelch in der Hand folgte Jacqueline.
    Simon hatte von kleinen Nachbesserungen gesprochen. Sie wollte möglichst umgehend daran arbeiten und begab sich zu ihrem Schreibtisch.
    Die Party war zu Ende – sowohl für Jacqueline als auch für ihre Kollegen.
    *
    Gegen Mittag war Jacqueline mit ihrer Mutter verabredet.
    Zunächst hatte sie gedacht, das Treffen absagen zu müssen. Doch als sie die Dokumente, die Frau Paczoska in Windeseile kopiert hatte, ein erstes Mal überflog, merkte sie schnell, dass die französische Investorengruppe weitaus weniger Veränderungen wünschte, als sie befürchtet hatte.
    So verließ sie kurz vor 13 Uhr ihr Büro, immer noch leicht beschwingt vom Veuve Clicquot.
    »Ich bin in etwa einer Stunde zurück«, verabschiedete sie sich vorne im Sekretariat. »Ich habe mein Telefon auf Sie umgestellt, Frau Paczoska.«
    »In Ordnung, Frau Adam.«
    Jacquelines Blick glitt über das schulterlange, krause Haar der Auszubildenden.
    »Übrigens, Annekatrin, der sanfte Rotton steht Ihnen ganz hervorragend. Der ist neu, oder?«, fragte sie freundlich; sie verteilte gerne Komplimente.
    »Aber den habe ich doch schon seit fast zwei Wochen, Frau Adam. Sie haben ihn gleich am ersten Tag gelobt.«
    »Oh.« Daran konnte sich Jacqueline überhaupt nicht erinnern. Wie unangenehm.
    Ihr Lächeln gefror und sie beschloss, nicht näher darauf einzugehen.
    Draußen, im Aufzug, drückte sie das ›E‹. Für einen kurzen Augenblick kehrte die vormittägliche Odyssee in ihr Gedächtnis zurück. Sie verdrängte die Gedanken daran.
    Die Sonne stand hoch am Firmament, als Jacqueline ins Freie trat.
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