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Variationen zu Emily

Variationen zu Emily

Titel: Variationen zu Emily
Autoren: Jürgen Saarmann
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Bäckerinnung verfasst haben. Auf unsere Branche gemünzt, versteht sich.“ Dann bestellte er Tom ein Taxi.
    Es war eine interessante Erfahrung gewese n. Tom hatte immer vermutet, dass außer ein paar fußlahmen älteren Damen mit fettem Dackel und gichtigen, verhärmten und einsamen Männern mit nachlässig rasierten Gesichtern und wuchernden Nasenhaaren niemand diesen scheinbar journalistisch aufgemachten, minderwertigen Schund las, der beim Bäcker auszuliegen pflegt und mit höchst aktuellen Tips alle Unbilden der menschlichen Natur bekämpft. Aber dieser joviale, abgeklärte Mann der Kirche, der für das Seelenheil von ein paar tausend Menschen zuständig war, schien aus irgendeinem Grund in ebendiesem Blatt eine Konkurrenz zu sehen, die es auszustechen galt. Sonderbar!
    Aber vielleicht ging es um die gleiche Zielgruppe. Er hatte gegen die sauren Eruptionen des eigenen Magens angekämpft, mannhaft seinen ekelhaft stinkenden Schweiß und seine beschmutzte Kleidung ignoriert und zugesagt. Was blieb ihm in so einer Situation übrig?
    Im Nachhinein ließ sich ja auch nichts dagegen einwenden. Es war ein fairer Handel, von dem der liebe Nächste seinen Anteil schon erbracht hatte. Er dachte an eine Geschichte von einer modernen Geschäftsfrau, die durch niederprasselnde Schicksalsschläge dazu gebracht wurde, wieder Vertrauen in den Lenker der Welten zu haben und sich demütig in seinen ziellosen Zickzackkurs zu schicken, obwohl der liebe Gott kaum jemals einen von der Menschheit anerkannten Führerschein gemacht hatte. Soweit er wusste, jedenfalls. Er hasste die dumme Ziege schon jetzt.
    Um diese kleine Ehrenschuld zu tilgen, würde er sich nach dem Treffen in der Redaktion hinsetzen und die vier oder fünf Seiten schreiben. Danach könnte er nach langer Zeit mal wieder in die Kneipe gehen und vielleicht ein paar der alten Freunde wiedersehen. Und dann, mit ein paar Bier im Leib und der nötigen Müdigkeit versehen, wieder ins Bett, das er üb rigens dringend neu beziehen musste. Der Fleck! Und überhaupt: Das Kopfkissen hatte schon einen leicht grauen Teint. Und war da nicht noch der Blutfleck von seinem Kratzer in der Decke? Und der Schweißgeruch? Und der nachlassende Duft von Martha!
    Ein Austausch war dringend notwendig. Man konnte ja nicht wissen, welche entzückende Frau ihm vielleicht heute über den Weg laufen würde: Die Welt überreichte manchmal unerwartet reiche Geschenke. Er machte sich an die Arbeit und war dann doch erstaunt, wie antik, ja prähistorisch das alte, auf dem Boden liegende Bettzeug wirkte. Als wäre ein einbalsamierter Pharao darin eingewickelt gewesen. Ein wirklich weißes, neues Spannbettuch quälte ihn mit seiner Spannkraft. Der Kopfkissenbezug warf ihm partielle Knopflosigkeit vor. Die Hülle des Federbetts war noch von seiner Oma: ein wenig dünn an manchen Stellen, dafür mit Spitzeneinsätzen an anderen, die man aber ohnehin nicht sah.
    Insgesamt machte sein Bett jetzt jedenfalls wieder einen reinlichen Eindruck, wenn es auch Assoziationen an eine gottesfürchtige ältere Frau heraufbeschwor, die im Schrank noch die ganze mottenpulverumdünstete Aussteuer aufbewahrt, aber nicht benutzt, da ja die Erben auch noch etwas bekommen sollen. Oder weil sie sich eine späte Mädchenhaftigkeit bewahrt hat und noch immer auf den Mann ihres Lebens wartet. Oder vielleicht, weil das Zeug dermaßen gestärkt ist, dass man anstattdessen auch unter einer Eichenbohle schlafen könnte.
    Er bevorzugte eigentlich eher schöne Bettwäsche, durchaus auch ein wenig vulgäre, sinnliche aus dunkelrotem Samt – wenn es das außerhalb seiner Phantasien überhaupt gab. Aber immer, wenn er an einem Spezialgeschäft vorbeikam und sich an diese Imagination eines oblomowschen Pfuhls erinnerte, waren andere Ausgaben wichtiger. Und leider hatte er keinen lukrativen Ehevertrag mit Onassis oder Herrn Marcos abgeschlossen. Frauen hatten es doch zuweilen etwas leichter. Zumindestens, was den Erwerb von Bettwäsche und Schuhen anging.
    Er warf dem seitenverkehrten Bild seiner Erscheinung im Spiegel noch einen Blick zu, wandte sich auch einmal um, um sich von hinten zu betrachten. Und er fragte sich zum tausendsten Mal, womit er es immer wieder schaffte, grazile weibliche Geschöpfe dazu zu bewegen, sich ohne Rüstung mit ihm ins Bett zu wagen. Eigenartig! Alle Informationen aus den eher nachlässig konsumierten Medien deuteten doch darauf hin, dass eine erwachsene Frau sich heute einen Mann wie Sylvester Stallone,
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