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v204525

v204525

Titel: v204525
Autoren: Jean Fellber
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entwich. Ich verschloss sie wieder und stellte sie verwirrt zurück.
    In den ersten Tagen besuchte mich Julio regelmäßig, fragte, wie mir die Arbeit gefiel, ob Besucher da gewesen seien (was er genauso gut meiner Liste hätte entnehmen können) und wie lange sie geblieben waren (auch das notierte ich). Er vergaß auch nicht zu fragen, ob ich mich nicht langweilte. Ich erklärte ihm, dass alles bestens sei, die meisten Besucher begeistert waren (das war gelogen) und ich die Zeit genießen würde. Er sah mich dann meist erstaunt an, freute sich aber offensichtlich darüber. Ich trank eine Limonade, er ein Glas Rum.
    Meine erste Woche war vorbei. Meinen freien Montag nutzte ich, um mir das Dorf und das Land anzuschauen. Der Ort war überschaubar, nach einer Stunde kannte ich jede Straße und jedes Geschäft und die Gaststätten. Es gab nur zwei. Eine wurde vorwiegend von den Männern des Dorfes besucht. Als ich einmal spät abends da war, lief ein Porno im Fernsehen. In der anderen traf man Familien mit Kindern, Cliquen und Pärchen. Es gab noch zwei kleine Lebensmittelläden, einen Schuhmacher und einen Friseurladen. Um das Dorf herum erhoben sich die Berge, steinerne Riesen, auf denen kaum etwas wuchs. Sie wurden von weißen Linien durchzogen, wie Seile, die einen Körper fesseln. Ein schmaler Weg führte steil hinab zum Meer, zum Museum und zum schmalen Streifen Strand. Die Straße, wenn man den Einschnitt im Berg so nennen wollte, führte scharfkantiges Geröll mit sich, war unbefahrbar und nur mit Vorsicht begehbar.
    Am Abend aßen wir wieder zu dritt zusammen.
    Lou schwieg und auch ihre Mutter sagte nicht viel. Maga verabschiedete sich nach dem Essen gähnend. Es kam mir so vor, als wolle sie uns nicht stören. Lou holte den Rum. Ohne mich zu fragen, schenkte sie uns beiden die Gläser voll.
    »Herr André, ich hätte da eine ganz bestimmte Frage und ich kann sie nur im Museum stellen. Passt es Ihnen, wenn ich diese Woche mittags zu Ihnen komme?« fragte sie.
    »Ich wäre überglücklich.«
    »Gleich am Dienstag?«
    »Dienstag ist gut.«
    Wir stießen miteinander an. Vielleicht auch aufeinander. Lou lächelte und ich versuchte, nicht wie ein Idiot zu grinsen.
    Ich stellte mir vor, wie Lou diesen steilen Weg, der durch Wasser und Wind zu einem engen Pfad geworden war, am Dienstag hinabgehen würde, zu mir, in das seltsame Museum, den Ort, der sie und mich seltsam erregte. Sie musste sehr wichtige Fragen haben.

4. Kapitel
    Lou kam in der Mittagshitze. Im Museum war es – wie meist – angenehm kühl. Wir setzten uns einander gegenüber an den weißen Tisch, und ich goss uns Limonade ein.
    Sie holte Luft, bevor sie ihre Frage stellte.
    »Ich möchte alles über Liebe und Sex wissen. Alles, was Sie wissen. Dafür gibt es einen bestimmten Grund.«
    Ich nickte. Lou sah hinreißend aus, sie trug einen kurzen roten Rock, eine schwarze Bluse, die auf Taille geschnitten war und ihre Figur betonte. Zwischen Rock und Bluse schimmerte ein Streifen samtiger, gebräunter Haut.
    »Ich werde viele Fragen stellen. Immer, wenn mir eine einfällt, komme ich vorbei.«
    »Hoffentlich haben Sie viele Fragen«, sagte ich.
    »Und Sie dürfen keine Fragen stellen.«
    »Das sind die Regeln für meine Arbeit hier. Aber ich habe eine Bedingung.«
    »Was für eine?«
    Ich zögerte kurz. »Ich werde die Dinge beim Namen nennen.«
    »Gut. Also, ein Schwanz ist ein Schwanz und eine Fotze eine Fotze.«
    So, wie Lou es sagte, verloren die Wörter alles Obszöne.
    »Können Sie Liebe und Sex trennen?«, war ihre erste Frage.
    »Nein. Viele Menschen können das, aber ich konnte es nie.«
    »Das heißt, Sie vögeln nur, wenn Sie verliebt sind?«
    »Ja. Ich konnte nie mit Frauen schlafen, in die ich nicht wenigstens ein bisschen verliebt war.«
    »Und hassen? Ich kann mit Männern vögeln, die ich hasse.«
    »Das habe ich noch nicht ausprobiert. Also, mit einer Frau, die ich hasse.«
    »Erzählen Sie mir von ihrer ersten Freundin, mit der sie Sex hatten, Herr André.«
    Ich überlegte kurz, dann begann ich zu erzählen: »Sie hieß Anne. Sie ging in eine Parallelklasse, ich glaube die 9. Klasse. Sie vermied fast jeden Kontakt mit ihren Mitschülern, stand in den Pausen nicht in irgendwelchen Gruppen, sondern zog sich zurück. Sie las viel, jeden Tag ein Buch, und war stolz darauf, dass ihre Eltern Kommunisten waren. Ich war der einzige Junge, mit dem sie sprach, vielleicht sogar der einzige Schüler. Wir tauschten Bücher aus, diskutierten über
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