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Urod - Die Quelle (German Edition)

Urod - Die Quelle (German Edition)

Titel: Urod - Die Quelle (German Edition)
Autoren: Sarah Levine
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war es soweit.
    Mit schnellen, geschmeidigen Bewegungen wickelte sie den Draht von der Spule und dann um jedes einzelne ihrer Gelenke. Obwohl er ihr ins Fleisch schnitt, genoss sie seine Festigkeit. Das Drahtgeflecht gab ihr Halt. Bestärkte sie in dem, was sie vorhatte. Nahm ihr einen Teil der Furcht. Wenn auch längst nicht alles. Als auch ihr Hals umwickelt war, rollte sie den Rest der Spule ab und befestigte das Ende des Drahtes am Heizkörper. Sie näherte sich einem Kanister und schraubte den Deckel ab. Der Benzingeruch fraß sich durch die Luft wie Säure durch Metall und bereitete ihr Übelkeit. Sie verteilte es in der ganzen Wohnung, dann öffnete sie einen zweiten Kanister, dessen dickflüssigen Inhalt sie sich über den Kopf goss. Der beißende Gestank nahm ihr den Atem. Dann endlich war auch diese Dose geleert. Mühevoll schleppte sie sich zum Fenster und öffnete es. Eine Windbö bauschte die Vorhänge auf, die sie umfingen und an ihrem Körper kleben blieben.
    „ Wie eine letzte Umarmung“, dachte sie und das Bild ihrer Geliebten tauchte vor ihrem inneren Auge auf. So deutlich und lebendig als stünde sie vor ihr. Sie hätte sie so gerne noch ein letztes Mal gesehen. Sie gerochen und berührt. Allein, es wäre zu gefährlich gewesen. Und auch diese Sehnsucht begann bereits zu verblassen, versank mehr und mehr in der Apathie, die sie bald völlig in ihren sirupartigen Fängen halten würde.
    Sie stellte sich auf das Fensterbrett und ließ ihren Blick über die nächtliche Stadt schweifen, deren Lichter in der Dunkelheit schimmerten wie ein Echo des sternenübersäten Himmels. Unter ihr fand auf einer Terrasse eine Party statt. Elegant gekleidete Menschen, die sich miteinander unterhielten. Angenehme Musik, klingende Gläser, Lachen und Schmatzen, das Rascheln von Stoff, das Klackern von Absätzen, das Klirren der Eiswürfel in einem Glas, das Gluckern, wenn Getränke nachgeschenkt wurden. Sie konnte jedes Wort verstehen. Eine Konfirmation wurde dort gefeiert. Ein Mädchen trat einer Gemeinde bei. Gehörte nun zu ihnen. Betete mit ihnen zum selben Gott. Glaubte, jetzt ein Teil des Ganzen zu sein.
    Wie erbärmlich sie waren.
    Sie konnte in ihren Stimmen lesen wie in einem Buch. Jede Nuance war so klar und deutlich, jede Falschheit und Lüge, jeder Schmerz so offensichtlich, dass sie sich wunderte, warum diese Menschen beieinander waren. Doch da war noch etwas anderes. Sie spürte den Stolz und die tiefe Liebe, die die Mutter des Mädchen für ihre Tochter empfand. So viel Liebe.
    Wie beneidenswert sie waren.
    Diese Menschen, die aus einer anderen Welt zu kommen schienen. Nicht ihre Welt.
    Denn ihre war der direkte Weg in die Hölle.
    Es war gut, sie zu sehen und zu hören, denn für sie würde sie tun, was zu tun war. Für ihre Rettung.
    Sie nahm das Feuerzeug und zündete sich eine Zigarette an. Zwei, drei kräftige Züge, dann hielt sie das glühende Ende an ihr Haar. Es dauerte nur Sekunden und ihr Haarschopf stand in Flammen, die sofort auf die Vorhänge und den Rest ihres Körpers übergriffen.
    Jetzt spürte sie den Schmerz. Welch unerträgliche Marter. Sie wollte aus ihrer Haut fahren, sie abstreifen wie ein peinigendes Kleidungsstück. Jetzt wollte sie wirklich sterben. Jetzt konnte sie es. Wie ein Adler seine Schwingen breitete sie die Arme aus und stürzte kopfüber in die Finsternis.
    Die Gäste der kleinen Terrassen-Party blickten allesamt verwundert in den Himmel, als etwas Brennendes auf sie herabstürzte. Was sollte das werden? Hatte ihr Gastgeber das arrangiert? Eine Performance? Ein brennender Drache? Was?
    Es dauerte Sekundenbruchteile, dann wurde ihnen klar, dass es sich um einen Menschen handeln musste, der da vom Himmel fiel. Und genau in dem Moment, in dem sie diese Monstrosität begriffen, spannten sich die Drähte um den Leib der Frau und es gab ein Geräusch, als risse man Seide entzwei.
    Die abgetrennten Körperteile platschten auf die Terrasse wie schwere, nasse Laken. Der Kopf knallte auf den Boden und barst wie eine reife Melone. Versengtes, noch loderndes Fleisch. Ein durchdringender Geruch breitete sich aus. Doch unter dem ätzenden Benzingestank roch es gut. Es roch nach gegrilltem Steak. Wie bei einem Barbecue. Und es war genau dieser Geruch, den niemand der Anwesenden je vergessen sollte.
    Die Hitze hatte die Luft in einen flirrenden Schleier
    verwandelt und die Straße, die sich durch das sperrige
    Bergmassiv der bulgarischen Rhodopen schlängelte, war
    genauso marode
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