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Untitled

Titel: Untitled
Autoren: Unknown Author
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auf und versuchte die Richtung zu orten, aus der das seltsame Geräusch kam. Jedoch nichts war zu sehen ...!
      Doch da ... schon wieder diese Laute! Diesmal ganz in ihrer Nähe! Sie wurde schreckensbleich, erkannte sie doch Worte wie „Hölle", „Folterqualen" deutlich. Dann wieder nur unverständliche Wortfetzen, bis sie plötzlich klar und deutlich folgende Zeilen vernahm:

    Es triefe dir von Zahn und Mund,
das beste Blut aus deinem Bund.
Dann tappe nach dem Grabe stumm,
treib mit Dämonen dich herum,
bis diese Schar vor Schreck erbleicht,
dir, dem verfluchten Unhold weicht!

    Die alte Dame stand versteinert da. „Lord Byron", seufzte sie hingerissen.
      In diesem Augenblick durchbrach die Sonne den grau verhangenen Himmel und ließ ihre wohlige Wärme über den Kirchhof fluten. Vom großen Grabmal war deutlich ein Knirschen und Schaben zu hören. Die kleine Dame konnte gerade noch erkennen, wie sich der bis dahin leicht geöffnete Spalt am Ende der Grabplatte schloß, und das Monument derer von Grauenstein lag wieder im warmen Sonnenlicht, so als wäre gar nichts geschehen. Madame fiel auf die Knie und schlug das Kreuz, erhob sich dann mühsam und rannte, so schnell sie ihre müden Beine trugen, hinunter in das Dorf.
      Außer Atem und kaum noch fähig, sich auf den Beinen zu halten, läutete sie Sturm an der Tür des Pfarrhauses. Als ihr geöffnet wurde, stieß sie die ständig verschlafen wirkende Haushälterin von Hochwürden zur Seite und ging hastigen Schrittes in das Arbeitszimmer des Geistlichen.
      Erstaunt blickte der Pfarrer auf seine Besucherin. Da diese es an der ihr sonst so eigenen Höflichkeit in jeder Hinsicht mangeln ließ, wurde ihm schlagartig bewußt, daß etwas sehr Ungewöhnliches geschehen sein mußte.
      „Hochwürden, ich muß Sie dringend sprechen", japste Madame und ließ sich unaufgefordert auf den nächstbesten Stuhl fallen. Ein nicht enden wollender Redeschwall sprudelte aus ihr heraus.
      Die Fingerkuppen aneinandergelegt, die Ellenbogen auf den Armlehnen des bequemen Sessels aufgestützt, hörte der Geistliche gezwungenermaßen zu. Zwischendurch wiegte er, scheinbar bestätigend, seinen Kopf. Er unterbrach den Redefluß seines Gegenübers jedoch nicht, vielmehr hing er schwermütigen Gedanken nach: „So fängt die Arteriosklerose also an. Hoffentlich entfallen ihr nicht auch noch die vorzüglichen Rezepte für Rumtopf und Buttercreme!" In diesem Fall schien er einer wahrhaft freudlosen Zukunft entgegenzueilen. Über den für ihn so schwerwiegenden Gedanken bemerkte er nicht, daß Madame bereits seit einiger Zeit schwieg und ihn erwartungsvoll anschaute. In seiner Verwirrtheit brachte er nur ein verlegenes Räuspern zustande, was Madame veranlaßte, ihn darüber aufzuklären, daß eben dieses Geräusch in etwa dem des Zuschiebens der Grabplatte sehr ähnlich sei.
      Obwohl sich der Priester alle nur erdenkliche Mühe gab, seine Zweifel nicht zu deutlich zur Schau zu stellen, entging es seiner reizenden Nachbarin keineswegs, daß er an der Glaubwürdigkeit ihrer wahrhaft fantastischen Schilderung zweifelte. Madame Vanille richtete sich zu ihrer imposanten Körpergröße von 1,55 m auf, strafte den Herrn Pfarrer ob seines Zögerns mit Nichtachtung und verließ grußlos sein Haus.

    Mit einem wunderschönen Abendrot verabschiedete sich der eigentlich recht trübe Tag und überließ den Himmel den Sternen und dem vollen Mond. Es war kurz vor Mitternacht, als im Häuschen der alten Dame der Wecker schrillte. Senkrecht fuhr Madame im Bett hoch und versuchte verzweifelt, das ohrenbetäubend scheppernde Monstrum abzustellen. Aber wie immer, wenn man schlaftrunken ist, gelingt es selten auf Anhieb. Sie drehte den unaufhörlich lärmenden Störenfried mehrfach hin und her, bis sie endlich das Knöpfchen zum Ausschalten gefunden hatte. Das für diese Zeit ungewöhnliche Geräusch hatte mittlerweile auch Hochwürden von gegenüber aus seinem ersten Schlummer geweckt.
      Madame war in ein dunkles Kleid geschlüpft und versuchte ihre hübschen silbrig glänzenden Löckchen unter einem dunklen Kopftuch zu verbergen. Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust.
      Sehnsüchtig blickte sie auf ihr Bett, um dann, ängstlich geworden, zum Mond aufzuschauen, der sein helles Licht direkt in ihr Schlafzimmer sandte. Sie hatte das Gefühl, als lächle er. Das bestärkte sie in ihrem Vorhaben. Sie griff zum Rosenkranz mit den schönen Elfenbeinkugeln und dem kunstvoll geschnitzten
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