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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs
Autoren: Jack Kerouac
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Nacht. Frühmorgens war ich tatsächlich in Chicago und fand ein Zimmer beim YMCA und legte mich schlafen, mit nur noch sehr wenigen Dollar in der Tasche. Chicago nahm ich später unter die Lupe, nach einem gut verschlafenen Tag.
    Wind vom Michigan-See, Bebop auf dem Loop, lange Spaziergänge in der Gegend von South Halsted und North Clark und ein langer Mitternachtsgang durch den Dschungel, wo ein Streifenwagen mich als verdächtige Gestalt verfolgte. Damals, 1947, war der Bebop überall in Amerika wie verrückt im Kommen. Die Jungs auf dem Loop jazzten, aber mit müden Mienen, weil der Bop irgendwo zwischen seiner ornithologischen Charlie-Parker-Phase und einer anderen Phase steckte, die mit Miles Davis begann. Und während ich dort saß und diesem Sound der Nacht lauschte, zu dessen Inbegriff der Bebop für alle von uns geworden ist, musste ich an all meine Freunde denken, vom einen Ende des Landes bis zum andern, und wie sie doch eigentlich alle auf demselben riesigen Hinterhof hockten, mit ihrem Irrsinn und mit ihrer Raserei. Und zum ersten Mal in meinem Leben fuhr nun auch ich in den Westen – am folgenden Nachmittag. Es war ein warmer, schöner Tag, genau richtig zum Trampen. Um aus dem unwahrscheinlichen Durcheinander des Verkehrs in Chicago herauszukommen, nahm ich einen Bus nach Joliet, Illinois, ging am Zuchthaus von Joliet vorbei und stellte mich, nach einem Spaziergang durch die belaubten schäbigen Straßen, unmittelbar am Stadtrand auf und zeigte mit dem Daumen in die Richtung, in die ich wollte. Den ganzen Weg von New York bis Joliet im Bus, und ich war über die Hälfte meines Geldes los.
    Die erste Strecke fuhr ich auf einem Dynamit-Laster mit roter Flagge, gut dreißig Meilen in das weite grüne Illinois hinein, und der Truckdriver zeigte mir die Stelle, wo Route 6, auf der wir fuhren, sich mit Route 66 kreuzt, bevor sie beide in unwahrscheinliche Fernen nach Westen schießen. Nachmittags gegen drei, nach einem Apfelkuchen mit Eiskrem in einem Kiosk am Straßenrand, hielt eine Frau mit einem kleinen Flitzer für mich an. Eine irre Freude durchzuckte mich, als ich zu dem Wagen rannte. Aber sie war eine Frau mittleren Alters, tatsächlich Mutter von Söhnen in meinem Alter, und wollte jemanden, der ihr bis Iowa fahren half. Ich war begeistert. Iowa! Gar nicht so weit von Denver, und wenn ich erst in Denver war, konnte ich ausspannen. Sie fuhr die ersten paar Stunden, irgendwann wollte sie unbedingt irgendwo eine alte Kirche besichtigen, als ob wir Touristen wären, und dann übernahm ich das Steuer und fuhr, obwohl ich kein so guter Fahrer bin, den Rest der Strecke durch Illinois direkt bis Davenport, Iowa, via Rock Island. Und hier sah ich zum ersten Mal im Leben meinen geliebten Mississippi, trocken im sommerlichen Dunst, das Wasser niedrig, mit seinem gewaltigen geilen Geruch – er riecht wie der rohe Körper Amerikas selbst, weil er ihn dauernd umspült. Rock Island – Eisenbahnschienen, Bretterbuden, ein kleines Innenstadtviertel; und über die Brücke nach Davenport, einer ganz ähnlichen Stadt, überall der Geruch von Sägespänen in der warmen Sonne des Mittleren Westens. Hier musste die Dame auf einer anderen Route weiterfahren, nach der Stadt in Iowa, in der sie zu Hause war, und ich stieg aus.
    Die Sonne ging gerade unter. Nach ein paar kalten Bieren wanderte ich zum Stadtrand hinaus, und es war ein langer Weg. All die Männer fuhren von der Arbeit nach Hause, Eisenbahnermützen und Baseballmützen und Mützen aller Art auf dem Kopf, genau wie in jeder anderen Stadt nach Feierabend. Einer von ihnen nahm mich mit, den Hügel hinauf, und ließ mich an einer verlassenen Straßenkreuzung am Rand der Prärie stehen. Schön war es dort. Die einzigen Autos, die vorbeikamen, waren die Autos von Farmern; sie warfen mir misstrauische Blicke zu, sie ratterten weiter, die Kühe kamen nach Hause. Kein einziger Lastwagen. Ein paar schnelle Wagen schossen vorbei. Ein Junge in einer frisierten alten Kiste sauste mit flatterndem Halstuch vorbei. Die Sonne ging ganz unter, und ich stand in der violetten Dunkelheit. Jetzt bekam ich es mit der Angst. Es gab nicht einmal Straßenlaternen hier auf dem platten Land in Iowa; ein paar Minuten, und niemand würde mich mehr stehen sehen. Zum Glück kam ein Mann, der zurück nach Davenport wollte, und nahm mich in die Innenstadt mit. Aber da war ich wieder am Ausgangspunkt.
    Ich ging in den Busbahnhof, setzte mich hin und überlegte mir die Lage. Ich aß noch
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