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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs
Autoren: Jack Kerouac
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Jungs Gitarre spielten, während ihre großen Brüder in den Textilfabriken arbeiteten. Alle meine anderen derzeitigen Freunde waren «Intellektuelle» – Chad, der Nietzscheaner und Anthropologe, Carlo Marx mit seinen bekloppten surrealistischen, leisen, ernsten, irren Reden, Old Bull Lee und seine kritische Motzerei gegen alles und jedes –, oder sie waren heimliche Kriminelle wie Elmer Hassel mit seinem gelangweilten höhnischen Grinsen; genauso Jane Lee, die sich auf ihrer Couch mit Orientdecke wälzte und über den New Yorker die Nase rümpfte. Aber Deans Intelligenz war in jeder Hinsicht genauso geschult, brillant und umfassend, nur ohne die öde Intellektualität. Und seine «Kriminalität» hatte nichts Schmollendes oder Spöttisches; sie war ein unbändiger, bejahender Ausbruch amerikanischer Lebensfreude; sie war der Westen selbst, der Westwind, eine Ode aus der Prärie, etwas Neues, lange Vorhergesagtes und lange Ersehntes (er knackte Autos nur zum Spaß für Spritztouren). Außerdem vertraten alle meine New Yorker Freunde den negativen, albtraumhaften Standpunkt, dass die Gesellschaft abzulehnen sei, und lieferten ihre müden, bücherschlauen oder politischen oder psychoanalytischen Gründe dafür, während Dean nur so durch die Gesellschaft raste, gierig nach Brot und nach Liebe; ihm war es egal, ob so oder anders, «solange ich nur an das nette Mädchen mit ihrem süßen Etwas zwischen den Beinen rankomme, Mensch» und «solange wir was zu essen haben, Mann, verstehst du mich? Ich bin hungrig , ich verhungere , lass uns sofort was essen !» – und schon stürzten wir los und aßen , wie es, so spricht der Weise Salomo, «dein Teil ist unter der Sonne».
    Ein westlicher Verwandter der Sonne – das war Dean. Obwohl meine Tante mich warnte, er würde mich in Schwierigkeiten bringen, hörte ich einen neuen Ruf und sah einen neuen Horizont und glaubte daran, jung, wie ich war; und ein paar kleine Schwierigkeiten oder auch, dass Dean mich als Kumpel abwies, mich hängenließ, wie er es später tun sollte, verhungernd am Straßenrand und auf dem Krankenbett – was machte das schon? Ich war ein junger Schriftsteller und wollte abheben.
    Irgendwo unterwegs, das wusste ich, gab es Mädchen, Visionen, alles; irgendwo auf dem Weg würde mir die Perle überreicht werden.

zwei
    Im Monat Juli 1947, nachdem ich etwa fünfzig Dollar von meinem Veteranensold gespart hatte, war ich so weit, dass ich an die Westküste fahren konnte. Mein Freund Remi Boncœur hatte mir einen Brief aus San Francisco geschrieben und gesagt, ich solle kommen und mit ihm auf einem Rund-um-die-Welt-Dampfer in See stechen. Er schwor, er könne mir einen Job im Maschinenraum verschaffen. Ich schrieb zurück und sagte, ich wäre schon mit irgendeinem alten Frachter zufrieden, solange ich ein paar längere Südseereisen unternehmen und genügend Geld mit heimbringen könne, um mich im Haus meiner Tante über Wasser zu halten, bis ich mein Buch fertig hätte. Er sagte, er habe eine Hütte in Mill City, und dort hätte ich alle Zeit der Welt zum Schreiben, während wir die lästige Suche nach dem Schiff hinter uns brächten. Er lebte mit einem Mädchen namens Lee Ann zusammen; sie sei eine wunderbare Köchin, schrieb er, und alles werde klargehen. Remi war ein alter Schulfreund von mir, ein Franzose, aufgewachsen in Paris und ein wirklich verrückter Typ – wie verrückt, das wusste ich damals noch nicht. Er erwartete meine Ankunft also in zehn Tagen. Meine Tante war einverstanden mit meiner Reise nach Westen; es werde mir guttun, sagte sie, ich hätte den ganzen Winter so hart gearbeitet und sei kaum an die Luft gekommen; sie lamentierte nicht einmal, als ich ihr sagte, dass ich ein Stück weit trampen müsse. Sie wünschte sich nur, dass ich heil und ganz wiederkäme. Also ließ ich mein dickes, halbfertiges Manuskript auf dem Schreibtisch liegen, zog eines Morgens zum letzten Mal meine gemütliche Bettdecke glatt, nahm meinen Segeltuchsack, in dem ich ein paar wichtige Dinge verstaut hatte, und machte mich auf den Weg zum Pazifischen Ozean, mit fünfzig Dollar in der Tasche.
    Monatelang hatte ich in Paterson über Landkarten der Vereinigten Staaten gebrütet, hatte sogar Bücher über die Pionierzeit gelesen und mir Namen wie Platte und Cimarron und so weiter auf der Zunge zergehen lassen, und auf der Straßenkarte war eine lange rote Linie eingezeichnet, die Route 6, die von der nördlichen Spitze von Cape Cod direkt nach Ely, Nevada,
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