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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs
Autoren: Jack Kerouac
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alte Holz des Hotels knarren und Schritte über mir, und all die traurigen Geräusche, und ich blickte zu der rissigen Zimmerdecke hinauf und wusste wirklich nicht, wer ich war, vielleicht fünfzehn sonderbare Sekunden lang. Angst hatte ich nicht; ich war einfach jemand anders, ein Fremder, und mein ganzes Leben war ein spukhaftes Leben, das Leben eines Gespenstes. Ich war auf halbem Weg meiner Reise durch Amerika, an der Trennlinie zwischen dem Osten meiner Jugend und dem Westen meiner Zukunft, und vielleicht ist das der Grund, warum es dort und damals passierte, an diesem sonderbaren roten Nachmittag.
    Aber ich musste weiter und durfte nicht jammern, darum schnappte ich meinen Seesack, sagte dem alten Hotelportier, der neben seinem Spucknapf saß, so long und ging etwas essen. Ich aß Apfelkuchen mit Eiskrem – der wurde immer besser, je weiter ich nach Iowa kam, das Kuchenstück größer, das Eis sahniger. Es gab die schönsten Mädchen in Des Moines, Scharen von ihnen, wohin ich auch blickte an diesem Nachmittag – sie kamen von der Schule und gingen nach Hause –, aber ich hatte jetzt keine Zeit für solche Gedanken und versprach mir ein Fest in Denver. Carlo Marx war schon in Denver; Dean war dort; Chad King und Tim Gray waren da, es war ihre Heimatstadt; Marylou war da; und von einer riesigen Clique war die Rede, darunter Ray Rawlins und seine schöne blonde Schwester Babe Rawlins; zwei Kellnerinnen, die Dean kannte, die Schwestern Bettencourt; und sogar Roland Major, mein alter Dichterkumpel vom College, war da. Ich dachte an sie alle voller Vorfreude und Erwartung. Also lief ich an den schönen Mädchen vorbei, und die schönsten Mädchen der Welt wohnen in Des Moines.
    Ein Mann mit einer Art Werkzeugschuppen auf Rädern, einem Lastwagen voller Werkzeug, den er aufrecht stehend lenkte wie ein moderner Milchmann, nahm mich die lange Steigung mit hinauf; oben bekam ich sofort einen Lift, ein Farmer und sein Sohn, die nach Adel in Iowa unterwegs waren. In dieser Stadt, unter einer großen Ulme bei einer Tankstelle, schloss ich Bekanntschaft mit einem anderen Tramper; er war ein typischer New Yorker, ein Ire, der die meisten Jahre seines Arbeitslebens bei der Post einen Lastwagen gefahren hatte und jetzt unterwegs nach Denver war, zu einem Mädchen und einem neuen Leben. Ich nehme an, er war vor irgendetwas in New York auf der Flucht, wahrscheinlich vor der Polizei. Er war ein richtig rotnäsiger junger Suffkopp von dreißig Jahren und hätte mich normalerweise angeödet, nur dass meine Sinne jetzt nach jeder Art menschlicher Freundschaft hungerten. Er trug einen ausgefransten Pullover und eine ausgebeulte Hose und hatte keinerlei Gepäck bei sich – nur eine Zahnbürste und Taschentücher. Er sagte, wir sollten zusammen trampen. Ich hätte nein sagen sollen, weil er am Straßenrand eine ziemlich schlimme Figur machte. Aber wir blieben zusammen und fuhren mit einem schweigsamen Mann bis Stuart, Iowa, einer Stadt, wo wir wirklich steckenblieben. Wir standen vor dem Eisenbahn-Fahrkartenkiosk in Stuart und warteten auf Autoverkehr in Richtung Westen, warteten gute fünf Stunden lang, bis die Sonne unterging, und schlugen die Zeit tot, anfangs mit Dingen, die wir von uns selbst erzählten, dann erzählte er schmutzige Geschichten, dann kickten wir nur noch Kieselsteine über den Asphalt und gaben irgendwelche blödsinnigen Geräusche von uns. Schließlich hatten wir es satt. Ich beschloss, einen Dollar für Bier zu opfern; wir gingen in einen alten Saloon in Stuart und hoben ein paar. Dabei besoff er sich wie an jedem Feierabend zu Hause an der Ninth Avenue und krähte mir fröhlich alle fiesen Träume seines Lebens ins Ohr. Irgendwie mochte ich ihn; nicht weil er ein guter Typ war, wie sich später herausstellte, sondern weil er sich für alles Mögliche begeistern konnte. In der Dunkelheit stellten wir uns wieder an die Straße, und natürlich hielt keiner, und es kam auch sonst fast niemand vorbei. Das ging so bis drei Uhr morgens. Eine Zeitlang versuchten wir auf der Bank im Fahrkartenkiosk zu schlafen, aber der Telegraph tickerte die ganze Nacht und wir konnten nicht einschlafen, und draußen donnerten die großen Güterzüge vorbei. Wir wussten nicht, wie man richtig auf einen Güterzug aufspringt; wir hatten es noch nie gemacht; wir wussten nicht, ob die Züge nach Osten oder nach Westen fuhren oder was für Kastenwagen oder Pritschenwagen und abgetaute Kühlwagen man nehmen musste und so fort. Als daher
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