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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs
Autoren: Jack Kerouac
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Teufel.» So fuhren wir nach Mexico City hinein.
    Eine kurze Steigung führte uns jäh auf eine Höhe, aus der wir ganz Mexico City ausgebreitet in seinem Vulkankrater liegen sahen, rauchspeiend und im Glanz erster Abendlichter. Wir sausten hinunter, sausten die Avenida de los Insurgentes entlang bis mitten ins Herz der Stadt, beim Paseo de la Reforma. Kinder spielten Fußball auf ausgedehnten, öden Plätzen und wirbelten Staub auf. Taxifahrer holten uns ein und erkundigten sich, ob wir Mädchen wollten. Nein, vorerst wollten wir keine Mädchen. Lange, verkommene Slums aus Lehmziegelbauten erstreckten sich bis weit in die Ebene; wir sahen einsame Gestalten in den dunkel werdenden Gassen. Bald würde es Nacht sein. Dann umbrauste uns die Stadt, und plötzlich kamen wir an überfüllten Cafés und an Theatern und vielen Lichtern vorbei. Zeitungsjungen schrien uns zu. Arbeiter, barfuß, mit Schraubenschlüsseln und Putzlappen, schlurften über die Gehsteige. Wahnwitzige barfüßige indianische Fahrer schnitten und umschwärmten uns und hupten im irrsinnigsten Verkehr. Der Lärm war unbeschreiblich. Mexikanische Autos haben keine Auspufftöpfe. Und jeder drückt lustvoll auf die Hupe. «He!», brüllte Dean. «Jetzt passt auf!» Er schlängelte den Wagen durch den Verkehr und hängte alle anderen ab. Er fuhr wie ein Indianer. Er kam an einen Kreisel auf dem Paseo de la Reforma und bretterte herum, während alle acht Sternstraßen Autos auf uns schossen, Autos von links, von rechts, izquierda , direkt von vorn – und Dean kreischte und hüpfte jedes Mal vor Vergnügen. «Was für ein Verkehr! Davon hab ich mein Leben lang geträumt! Alles rollt !» Ein Krankenwagen kam angeprescht. Amerikanische Ambulanzwagen fädeln sich mit heulender Sirene durch den Verkehr; die großartigen Ambulanzen des weltweiten Volkes der Fellachen-Indianer schießen einfach mit hundertdreißig durch die Straßen der Stadt, und jeder muss Platz machen, fort, aus dem Weg!, denn auf niemanden und nichts wird Rücksicht genommen: Sie donnern quer durch die Mitte. Wir sahen den Krankenwagen auf schlitternden Rädern in dem aufbrechenden Wirbel des dichten Innenstadtverkehrs entschwinden. Die Fahrer waren Indianer. Fußgänger, auch ältere Frauen, liefen hinter Autobussen her, die niemals hielten. Junge Geschäftsleute aus der City spurteten in Scharen um die Wette hinter Bussen her und sprangen sportlich auf. Die barfüßigen Busfahrer waren spöttisch grinsende, irre Typen, sie saßen im T-Shirt geduckt über ihrem niedrigen, riesigen Lenkrad. Darüber hingen beleuchtete Heiligenbildnisse. Die Lichter in den Autobussen waren bräunlich und grünlich, und dunkle Gesichter reihten sich auf hölzernen Bänken.
    In der Innenstadt von Mexico City trotteten Hipster-Typen mit breitkrempigen Strohhüten und in Jacketts mit langen Revers über der nackten Brust zu Tausenden über den Corso, manche verhökerten Kruzifixe und Gras in den Seitengassen, andere knieten in kaputten Kapellen, in unmittelbarer Nachbarschaft von mexikanisch-burlesken Striptease-Vorführungen in Bretterbuden. Manche Gassen waren nichts als Schutt, mit offenen Abwässerkanälen, und kleine Türen führten in schrankgroße Bars zwischen zwei Lehmziegelmauern. Man musste über einen Graben springen, um seinen Drink zu bekommen, und am Grund des Grabens war der uralte See der Azteken. Mit dem Rücken zur Wand schob man sich aus der Bar und hinaus auf die Straße. Es gab Kaffee mit Rum und Muskat. Überall dröhnte der Mambo. Hunderte von Huren standen aufgereiht in dunklen, engen Straßen, und ihre traurigen Augen funkelten uns an in der Nacht. Wie in Ekstase und wie im Traum streiften wir umher. Wir aßen wunderbare Steaks für achtundvierzig Cents in einer seltsamen, gekachelten mexikanischen Cafeteria, wo Generationen von Marimbaspielern an einer riesigen Marimba standen – auch Straßenmusiker, singende Gitarristen und alte Männer, die an Straßenecken Trompete spielten. Man roch den säuerlichen Gestank der Pulque-Kaschemmen; da kriegte man für zwei Cents ein Wasserglas voll Kakteensaft. Nichts hörte auf, auch in der Nacht wimmelten die Straßen von Leben. Bettler schliefen, eingehüllt in Reklameplakate, die sie von Bretterzäunen gerissen hatten. Ganze Familien saßen auf dem Bürgersteig, spielten auf ihren kleinen Flöten und kicherten in der Dunkelheit. Die nackten Füße ausgestreckt, saßen sie mit flackernden Kerzen da – ganz Mexico City war ein einziges großes
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