Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs
Autoren: Jack Kerouac
Vom Netzwerk:
Stadt weit und breit, nichts als einsamer Dschungel, Kilometer um Kilometer, und bergab ging’s und wurde immer heißer, und die Insekten schrillten noch lauter, noch wuchernder wurde die Vegetation, noch ranziger der Geruch, bis wir uns schließlich daran gewöhnten und fast Gefallen daran fanden. «Ich würde mich am liebsten nackt ausziehen und in diesem Dschungel wälzen», sagte Dean. «Verdammt, genau das mache ich, Mann, sobald wir das richtige Plätzchen finden.» Und plötzlich erschien Limón vor uns, eine kleine Urwaldstadt, ein paar trübe Lichter, dunkle Schatten, ein riesiger Himmel darüber, und eine Ansammlung von Männern vor einem Wirrwarr von Holzhütten – eine Straßenkreuzung in den Tropen.
    Wir hielten an in der unvorstellbar sanften Nacht. Es war heiß wie im Backofen an einem Sommerabend in New Orleans. Ganze Familien saßen im Dunkel straßauf, straßab und plauderten; manchmal kamen Mädchen vorbei, die jedoch sehr jung waren und nur neugierig, wie wir aussahen. Sie waren barfuß und schmutzig. Wir standen an der hölzernen Veranda eines heruntergekommenen Kaufladens, wo Mehlsäcke und frische Ananas zwischen Fliegen auf der Theke verdarben. Drinnen brannte eine Öllampe, und draußen gab es ein paar weitere bräunliche Lichter, der Rest war schwarz, schwarz, schwarz. Inzwischen waren wir so müde, dass wir gleich schlafen mussten, und so rollten wir den Wagen ein paar Meter auf einem Weg bis ans andere Ende der Ortschaft hinunter. Es war so unglaublich heiß, dass an Schlaf nicht zu denken war. Dean holte eine Decke und breitete sie auf dem weichen, warmen Sand am Weg aus und ließ sich darauf fallen. Stan streckte sich auf den Vordersitzen des Ford aus, beide Türen weit offen, doch nicht das allergeringste Lüftchen regte sich. Ich schwamm auf dem Rücksitz in einem See von Schweiß. Ich stieg aus und stand schwankend in der Dunkelheit. Der ganze Ort schlief anscheinend; nur kläffende Hunde waren zu hören. Wie würde ich je schlafen können? Tausende von Moskitos hatten uns Brust und Arme und Knöchel zerstochen. Dann kam mir eine glänzende Idee: Ich kletterte auf das Blechdach des Wagens und legte mich flach auf den Rücken. Auch dort kein Windhauch, aber das Blech bot ein wenig Kühlung und trocknete den Schweiß an meinem Rücken, sodass Tausende toter Insekten auf meiner Haut verkrusteten. Mir wurde klar, man kann dem Dschungel nicht entgehen, man wird selbst Teil des Dschungels. Ich lag auf dem Autodach und starrte zum schwarzen Himmel hinauf und hatte das Gefühl, in einer heißen Sommernacht in einem geschlossenen Koffer zu liegen. Zum ersten Mal in meinem Leben war das Wetter nicht etwas, das mich berührte, mich streichelte, mich frieren oder schwitzen machte, sondern ich war selbst Teil des Wetters. Die Atmosphäre und ich wurden eins. Feine Schauer winziger Insekten wehten mir über das Gesicht, während ich schlief, und ich empfand sie als außerordentlich angenehm und beruhigend. Kein Stern am unsichtbaren, lastenden Himmel. Gern hätte ich die ganze Nacht so dagelegen, das Gesicht dem Himmel dargeboten, der mich nicht mehr stören würde als ein über mich gezogener Samtvorhang. Die toten Insekten vermischten sich mit meinem Blut; die lebenden Moskitos stachen weiter; meine Haut juckte am ganzen Körper, und ich stank von Kopf bis Fuß nach dem ranzigen, heißen und fauligen Dschungel. Natürlich hatte ich keine Schuhe an. Um den Schweiß zu vermindern, zog ich mein insektenverkrustetes T-Shirt an und streckte mich wieder aus. Ein dunkler Fleck auf der schwarzen Straße zeigte mir, wo Dean schlief. Ich hörte ihn schnarchen. Auch Stan schnarchte.
    Hin und wieder leuchtete ein mattes Licht im Ort auf. Das war der Sheriff, der mit einer schwachen Taschenlampe seine Runden drehte und in der Dschungelnacht leise vor sich hin murmelte. Dann sah ich das Licht schwankend näher kommen und hörte seine gedämpften Schritte auf dem Teppich von Sand und Gräsern. Er blieb stehen und leuchtete den Wagen an. Ich richtete mich auf und sah ihn an. Er sagte mit bebender, beinahe klagender und überaus sanfter Stimme: «Dormiendo?» und zeigte auf Dean auf der Straße. Ich wusste, dass es «schlafen» hieß.
    «Si, dormiendo.»
    « Bueno, bueno », sagte er zu sich selbst und wandte sich zögernd und traurig ab, um seine einsame Runde fortzusetzen. Solch liebenswerte Polizisten hat Gott in Amerika nicht geschaffen. Kein misstrauisches Fragen, kein Getue, keine Nerverei: Er war der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher