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Unterwegs in der Weltgeschichte

Unterwegs in der Weltgeschichte

Titel: Unterwegs in der Weltgeschichte
Autoren: Hans-Christian Huf
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»weisen« Menschen, gesetzt haben, müssen Sie vor seinem Siegeszug allerdings einen relativ erfolglosen Aufbruch aus Afrika vor etwa 100 000 bis 95 000 Jahren in Kauf nehmen, der an der Kälte scheitert und ihn in seine Heimat zurückwirft. Immerhin hat ihn der Vorstoß bis in den Nahen Osten und dort zu einem ersten Rendezvous mit den Neandertalern geführt, die aus dem Norden in diese Gegend kamen.
    Erst in der letzten – entscheidenden – Auswanderungswelle vor rund 60 000 Jahren kann Homo sapiens außerhalb seiner Urheimat Fuß fassen. Noch in Afrika hat er eine immer komplexere Sprache entwickelt und gelernt, symbolisch zu denken. Zudem hat er neue, hocheffektive Distanzwaffen erfunden. Mit ihnen kann er nun Beute aus sicherer Entfernung erlegen und immer mehr Urmenschen um sich herum mit Nahrung versorgen.
    Wenn Sie abenteuerlustig genug und bis jetzt dabeigeblieben sind, können Sie sich nun auf einiges gefasst machen. Die Auswanderer überqueren das Rote Meer, erreichen die Arabische Halbinsel und hinterlassen bereits wenige Jahrtausende später ihre Spuren am äußersten Zipfel Südostasiens. Vor 55 000 Jahren überwinden einige Vertreter der Reisegruppe Sapiens mit Kanus und Flößen fast hundert Kilometer offenen Ozeans und erreichen erstmals einen noch unbesiedelten Kontinent: Australien. Mit kontrollierten Flächenbränden – so haben Wissenschaftler herausgefunden – locken sie Beutetiere wie Kängurus oder Riesenechsen aus ihren Verstecken und verändern so allmählich Fauna und Flora.
    Wie Sie längst gemerkt haben, gibt es keinen vorprogrammierten Reiseablauf. Die Kolonisierung der Erde ist kein planvolles Projekt. Die Migranten folgen einfach den Wildwechseln, suchen jagend und sammelnd neue Tiere und Pflanzen. Mit seiner Anpassungsfähigkeit kann Sapiens , der »moderne« Mensch, mittlerweile auch ungünstigen Umweltbedingungen trotzen. Also haben Sie sich für die richtige Reisegruppe entschieden, Homo sapiens wird überleben, alle anderen werden aussterben.
    Aber zwei Erdteile fehlen noch. In etwas fernerer Zukunft – vermutlich 20 000 bis 15 000 Jahre vor unserer Zeit – werden »moderne« Menschen auch den amerikanischen Doppelkontinent erobern, wahrscheinlich von Sibirien aus. Doch jetzt, vor 45 000 Jahren, ist erst einmal Europa dran.
    Hier hat sich inzwischen der Neandertaler einquartiert und mehr als 100 000 Jahre allein auf dem Kontinent existiert. Dank seiner kompakten Anatomie hat er sich immer besser an die Unbilden des Eiszeitalters angepasst und kann selbst Temperaturen von minus dreißig Grad Celsius ertragen. Seine Knochen sind kräftig, die Muskeln gewaltig, der Körperbau ist gedrungen – vermutlich, um möglichst wenig Wärme zu verlieren. Der Neandertaler ist ein Großwildjäger, der sich fast ausschließlich vom Fleisch der erbeuteten Tiere ernährt. Sein Gehirn ist größer als das des Neuankömmlings, aber seine flache Stirn und sein tonnenförmiger Körper haben ihn zum Primitivling gestempelt. Er gilt nicht als Urmensch, sondern eher als Unmensch. Erst in jüngster Zeit sind seine kulturellen, musischen und spirituellen Neigungen entdeckt worden.
    Der neue Konkurrent, den er schon früher im Nahen Osten kennengelernt hat und der dann über die rumänischen Karpaten und die Schwäbische Alb nach Mittel- und Südeuropa gezogen ist, bedrängt ihn nun auf Schritt und Tritt. Eigentlich hätte der Neandertaler ein massives Symptom des Verfolgungswahns, eine handfeste Paranoia ausbilden müssen. Dem Homo sapiens wiederum musste es vorkommen wie in dem Märchen von Hase und Igel: Überall, wo er eintrifft, hat sich der Neandertaler bereits etabliert.
    Wenig märchenhaft geht die Geschichte weiter. Im Unterschied zu den stagnierenden Alt-Europäern entwickelt Homo sapiens in den folgenden Jahrtausenden immer neue Fähigkeiten und »Begabungen«, stellt schlagkräftige Waffen her, produziert Wandbilder und Schnitzereien. Im Lauf der Zeit drängt er den Neandertaler aus der Evolution, der vor 27 000 Jahren ausstirbt.
    An dieser Lesart der Forschung ist wohl nicht mehr zu rütteln, auch wenn einzelne Wissenschaftler die These vertreten, Homo sapiens habe Europa erst erreicht, als der Neandertaler bereits ausgestorben war, weil er sich zu langsam vermehrte und weil extreme Trockenheit seine Rückzugsgebiete zerstörte.
    Jener
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