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Unterwegs im Namen des Herrn

Unterwegs im Namen des Herrn

Titel: Unterwegs im Namen des Herrn
Autoren: Thomas Glavinic
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werde. In meiner Handtasche suche ich nach einem Travelgum. Ingo brütet vor sich hin, unter seinem Auge zuckt es, er kurbelt das Fenster hinunter und zündet sich eine Zigarette an.
    »No smoking!«, sagt der Fahrer.
    Ingo feuert die Zigarette aus dem Fenster. »Ich muss aus diesem Land raus.«
    »Das Land kann nichts dafür. Wir sind unter den falschen Vorzeichen hier. Und jetzt sind wir ohnehin schon unterwegs nach Hause.«
    Zwei Straßen weiter hält der Wagen.
    »Bar!«, sagt der Fahrer und deutet auf ein zwischen Bäumen und blühenden Sträuchern verstecktes kleines Gebäude, über dem Café Maria steht. Was auch sonst.
    »Toll«, sagt Ingo, »zwanzig Meter weiter hinten hat er mich aufgegabelt.«
    Ich übernehme die Rechnung. Wir parken unsere Koffer neben einem kleinen Tisch, bestellen Kaffee und Rührei und reden nicht viel. Meine ganze Aufmerksamkeit wird von einem Mann in Shorts beansprucht, der eine großformatige Zeitung liest und aus dessen hochgelagertem Fuß Blut rinnt, weil er eine klaffende Wunde am Rist hat. Das scheint ihn ebenso wenig zu stören wie der Umstand, dass das Blut genau auf das Sitzkissen fließt. Den Wirt oder die Kellnerin irritiert es auch nicht, denn die scherzen und lachen ausgelassen mit ihm. Wenigstens erregt jemand mit einem Gesicht wie meinem hier kein Aufsehen.
    Während ich mich bemühe, den blutenden Fuß zu ignorieren, fällt mir ein Plakat ins Auge.
     
    PORT – HAVEN – HAFEN
    DISCO with
    CARL COX
     
    Darunter das Foto eines Schwarzen und das gestrige Datum.
    Wir essen, wir trinken, wir lassen uns ein Taxi rufen und warten an der Straße. Vor uns hält derselbe Fahrer, der uns hergebracht hat. Ich nehme eine Xanor, die ich mit dem letzten Schluck aus meiner Mineralwasserflasche hinunterspüle. Die Aussicht des bevorstehenden Fluges gefällt mir gar nicht. Flugangst habe ich auch so schon, aber jetzt kommt noch die Gospa mit ins Spiel.
    »So wie hier sieht es wirklich nur auf dem Balkan aus«, schimpft Ingo, als wir über eine Landstraße fahren, von der aus sich seitlich eine staubige Ebene erstreckt. »Diese geschmacklosen Häuser! Sieh dir das mal bitte an! Sieht es irgendwo auf der Welt so grauenhaft aus?«
    Ich zucke zusammen. Der Fahrer könnte uns verstehen, und das muss ja wirklich nicht sein. Überdies kenne ich die Schliche solcher Zunftgenossen. Dem ist durchaus zuzutrauen, dass er stillschweigend beschließt, uns ein bisschen mehr von seiner Heimat zu zeigen, als nötig wäre, und Umwege mag ich nicht, wenn der Taxameter läuft.
    »Ich finde es hier … nicht so … na ja, ist doch schön.«
    »Was bitte? WAS FINDEST DU DENN HIER BITTE SCHÖN ? Das ist doch ein einziger Alptraum hier!«
    Ingo beginnt im Sitz auf und ab zu springen, seine Füße trommeln auf den Boden, mit den Fingern spielt er an der Nackenstütze vor sich, sein Gesicht zuckt.
    »Ingo, was ist mit dir los?«
    »Was soll los sein?«
    »Hast du irgendeine Störung?«
    »Was für eine Störung?«
    »Ist dir schon einmal aufgefallen, dass du dich ununterbrochen bewegst? In jeder Sekunde? Dass du nie still sitzt?«
    »Ich weiß. Die hätten mich als Kind untersuchen sollen. Wahrscheinlich hatte ich ADHS . Wenn die mich behandelt hätten, wäre ich in der Schule vielleicht besser gewesen.«
    »Und bist du jetzt in Behandlung?«
    »Jetzt behandle ich mich selber.«
    Es vergehen einige Minuten, in denen Ingo neben mir trommelt und springt, aber wenigstens keine Beleidigungen gegen unser Gastland ausstößt. Gerade denke ich, das Thema sei vom Tisch, da ertönt plötzlich neben mir Gebrüll.
    » SIEH DIR MAL DIESE SCHLAGLÖCHER AN ! DAS KANN DOCH NICHT WAHR SEIN ! UND DAS GEFÄLLT DIR ? WAS GEFÄLLT DIR HIER ? DIESE HÄUSER ! DIESE FARBEN ! KEIN GESCHMACK ! NULL STIL ! SO SIEHT ES WIRKLICH NUR HIER AUS ! SO ETWAS LASSEN SIE SICH IN KEINER ANDEREN GEGEND DER WELT EINFALLEN ALS AUF DEM BALKAN !«
    »Ingo, die hatten hier Krieg.«
    » WAS HAT DENN DER KRIEG MIT DEM STIL ZU TUN ?«
    Ich reibe mir das Gesicht. Ich würde seinem Ausbruch gern Einhalt gebieten, aber mir ist inzwischen wahnsinnig schlecht, und ich muss mich darauf konzentrieren, geradeaus zu schauen. Ich versuche wegzuhören, als Ingo weiter das ganze Land in Bausch und Bogen verwünscht, es gelingt mir jedoch nicht, weil ich mir andauernd vorstellen muss, was der Taxifahrer wohl denkt. Ich möchte nicht hier amStraßenrand ausgesetzt werden. Bei unserem Glück käme sicher gleich Ivica mit seinem Auto vorbei.
    Der Gedanke beunruhigt
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