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Unterwegs im Namen des Herrn

Unterwegs im Namen des Herrn

Titel: Unterwegs im Namen des Herrn
Autoren: Thomas Glavinic
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zurück.«
    »Flughafen! Bringe ich euch!«
    Er setzt sich auf und kollert dabei aus der Hängematte.
    »Nein, Ivica, das können wir nicht annehmen. Wir rufen ein Taxi. Das Taxi ist schon da!«, lüge ich, als ich voller Entsetzen feststelle, dass er ernsthaft versucht, sich an der Hängematte hochzuziehen.
    »Schicken wir weg. Zahle ich ihm hundert Kuna. Soll fahren!«
    Er macht eine wütende Handbewegung, bleibt jedoch neben dem Baum sitzen und starrt auf seine Stiefel.
    »Ivica, warte hier. Ich bringe dir etwas. Bleib bitte hier, es ist eine Überraschung!«
    Ob er mich gehört hat, weiß ich nicht, jedenfalls macht er keine Anstalten, mir zu folgen, als ich den Rückzug antrete. Ich weiß, das ist nicht die feine Art, doch das kümmert mich jetzt nicht. Wir müssen von hier verschwinden.
    Zvonko steht noch immer wie lobotomiert an der gleichen Stelle wie vorhin. Freundlich nicke ich ihm zu. Ich überlege, ob ich ihn zu Ivica schicken soll, und entschließe mich, den Mund zu halten. Nur nicht an der jetzigen Lage rütteln, nur keine Aufregung.
    Ingo hat all meine Sachen gepackt, er sitzt auf meinem Bett, daneben steht der Koffer.
    »Na?«, fragt er.
    »Sofort los!«
    Er nickt. »Und das Taxi?«
    »Einfach mal raus. Taxi kriegen wir schon eines.«
    Ingo braucht keine zehn Sekunden, um das Gepäck aus seinem Zimmer zu holen. Wir schleichen die Treppe hinunter.Mit der Tür habe ich Schwierigkeiten, es sind so viele Schlösser und Balken daran, ich kriege sie einfach nicht auf. Mit vereinten Kräften schaffen wir es schließlich. In diesem Moment geht mein Handy los. Der Tennislehrer. Wütend drücke ich den Anruf weg.
    Im Freien rechne ich zunächst mit einem Angriff der Pudel. Für diesen Fall habe ich mir vorgenommen, sie mit meinem Koffer abzuwehren. Es bleibt jedoch still, und wir kommen ohne Zwischenfall bis zum Gartentor. Dort allerdings ist erst einmal Endstation. Ein verschlossenes schmiedeeisernes Tor, wie ich es mir vor englischen Landhäusern vorstelle, versperrt uns den Weg.
    Ich rüttle energisch daran. Ingo hält mich zurück, weil er befürchtet, ich könnte den Alarm auslösen. Die Vorstellung, wie Ivica und sein Kumpel, bewaffnet mit ihren Pistolen, sich auf die Jagd nach vermeintlichen Einbrechern machen, lässt meinen Arm augenblicklich erstarren.
    »Das darf nicht wahr sein, wir können hier doch nicht gefangen sein!«
    »Warte mal«, sagt Ingo, »ich sehe mich um.«
    »Aber bitte schnell, bevor die Pudel kommen.«
    »Oder die Krankenschwester.«
    »Hast du irgendeine Idee?«
    »Irgendeine Stelle, wo man drüberklettern kann …«
    Ich male mir aus, wie Ingo und ich mit unseren Koffern über eine drei Meter hohe Mauer klettern. Das ist völlig ausgeschlossen, nicht nur, weil es jetzt schon wieder gut und gern 35 Grad hat und mir der Schweiß ins Gesicht läuft, sondern weil ich fest davon ausgehe, dass Ivica hier überall fiese Einbrecherfallen aufgestellt hat, von Elektroschocks bis brutale Eisenspitzen.
    Etwas raschelt. Erst glaube ich, es käme vom Haus her, doch dann höre ich, dass es von links zu mir dringt, aus der Richtung, in die Ingo verschwunden ist. Ich kann ihn nirgends sehen. Ich schaue und schaue, bis ich ein Pfeifen über mir höre. Sein Gesicht leuchtet in vier Metern Höhe aus dem dichten Laub eines Baumes hervor.
    »Sehr hübsch«, sage ich. »Hilft uns das irgendwie weiter?«
    »Kannst du aus dem Stand sieben Meter weit springen?«
    »Nein.«
    »Dann nicht.«
    Es nützt alles nichts, wir werden wohl oder übel zu unserem Gastgeber zurückgehen müssen. Vielleicht kann ich ihn doch noch überreden, uns ein Taxi zu rufen, obwohl ich da keine großen Hoffnungen habe. Als Ingo wieder bei mir ist, macht er den gleichen Vorschlag. Wir nehmen unser Gepäck auf.
    »Moment«, sagt Ingo, »haben wir es eigentlich bei der Gartentür probiert?«
    »Welcher Gartentür?«
    »Na, der dort. Neben dem Gartentor.«
    »Stimmt. Eigentlich ist neben jedem Gartentor eine Gartentür.«
    Und tatsächlich, neben dem Tor ist eine kleine Tür, und an der Mauer befindet sich der Summer, der sie öffnet. Wir sind draußen. Ohne uns umzudrehen, rennen wir mit allem Gepäck die Straße entlang.
    Tief unter uns sehen wir das Meer und den Hafen. Es ist heiß, Insekten summen, der Schweiß juckt mich am Hals und im Nacken. Nach knapp hundert Metern fühle ich einen heftigen Schlag in der Brust, und mir wird übel.
    »Ingo, ich kann nicht so schnell!«, sage ich und stelle meinen Koffer auf den heißen
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