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Unterwegs im Namen des Herrn

Unterwegs im Namen des Herrn

Titel: Unterwegs im Namen des Herrn
Autoren: Thomas Glavinic
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Asphalt.
    »Du musst!« Er nimmt meinen Koffer. »Ich trage ihn, los, beeil dich! Wo kriegt man hier bloß ein Taxi?«
    »Wo kriegt man hier Kaffee?«
    »Scheiß auf Kaffee, ich will ein Taxi!«
    »Da, wo du Kaffee kriegst, rufen sie dir auch ein Taxi.«
    »Das stimmt. Zeit haben wir – Mist, was ist das? Ich glaube, da kommt ein Auto!«
    Mit einem Satz ist Ingo mitsamt dem Gepäck hinter einem Gebüsch verschwunden. Ohne viel nachzudenken, folge ich ihm und zerreiße mir dabei an den Zweigen das Hemd.
    »Na, bravo! Na, wunderbar! Na, das habe ich …«
    »Pssst! Vielleicht ist er das!«
    Stumm warten wir, bis das Auto an uns vorbei ist. Natürlich kennen wir es nicht.
    »Das hätte er auch niemals sein können«, schimpfe ich, »der kam von viel zu weit oben!«
    Ingo schmeißt die Koffer auf die Straße.
    »Mir reichts! Aus! Was ist das für eine gottverdammte … Ich will hier weg!«
    Ich schaue mich um. Ringsum Bruchbuden und Villen nebeneinander, aber auch Äcker, unbebaute Felder, eine Plakatwand, auf der für ein Waschmittel geworben wird. Keine Wegschilder, keine Bushaltestelle, nichts.
    »Wo sind wir eigentlich?«, frage ich.
    »Mir doch egal. Aber wenn wir hier noch lange rumstehen, versäumen wir den Flieger.«
    Ich ziehe mein Handy aus der Tasche. »Wir rufen Tomy an. Der weiß, wo wir sind. Und kann uns ein Taxi schicken.«
    Während ich dem Freizeichen lausche, muss ich an mein Antibiotikum denken, das ich um diese Zeit nehmen sollte. Ich vergesse das gleich wieder, als ich Tomys Stimme auf der Sprachbox höre. Resigniert stecke ich das Telefon weg, schiebe meinen Koffer in den Schatten eines morschen Bretterzauns, hinter dem ein vernachlässigtes Fußballfeld mit zerfetzten Toren zu sehen ist, und setze mich auf den Boden.
    »Was wird das jetzt?«
    »Nichts mehr. Ingo, such dir ein Taxi und fahr zum Flughafen.«
    »Und du? Du bleibst hier?«
    »Genau. Ich bleibe hier. Ich kann nicht mehr. Oder nein, du suchst dir ein Taxi und holst mich hier ab. Geht ja auch so.«
    »Also, wie nun?«
    »Mach, was du willst.«
    Wortlos stellt Ingo sein Gepäck zu mir in den Schatten und geht. Ich schreibe meiner Frau eine SMS . Ich rufe meine Mails ab, doch es ist nichts Aufregendes dabei.
    Ich schalte den iPod ein und hadere mit meinem Leben. Dieses Leben bringt es nicht nur mit sich, dass ich uninteressante E-Mails bekomme und mit zerschlagener Nase in kroatischen Vorstädten herumsitze. Es ist zudem ein Leben, über das ich in einem Zustand des Halbbewusstseins hindurchfliege, weil ich viel zu oft beeinträchtigt bin durch irgendwelche psychotropen Substanzen, durch Alkohol, durch alle nur erdenklichen Dinge, die mir im Grunde die Lebenszeit stehlen. Eigentlich ist das bescheuert. Eigentlich zahlt sich das nicht aus. Eigentlich bin ich zu alt für so etwas.
    Ich muss lachen, als ich mir ausmale, was meine Frau sagen würde, wenn ich von meiner Pilgerreise als Abstinenzler zurückkehrte. Die Gospa! Die Gospa hat mir geholfen!
    Die Heiterkeit weicht gleich wieder. Zum hundertsten Mal in den vergangenen Monaten frage ich mich, ob ich nicht womöglich einfach das erlebe, was man ganz banal als eine Midlife-Crisis bezeichnet. Mir erscheint so vieles von dem, was noch vor wenigen Jahren wichtig war, als unbedeutend, ja sinnlos. Was ist das eigentlich, was ich mache, womit verbringe ich mein Leben? Bin das wirklich ich? Bin ich der, der dieses Leben führen sollte? Und wenn nein, welches Leben wäre meines? Wie erfahre ich das? Wo muss ich ansetzen? Oder ist es nicht ohnehin schon zu spät? Um solche Fragen zu beantworten, hilft es ja angeblich, in sich hineinzuhorchen, aber ich höre da nichts.
    Damit ich hier an diesem Straßenrand nicht komplett durchdrehe, wechsle ich die Musik. Es gibt Songs, die sollte man mit Angina, an einsamen Stadträndern und bei 35 Grad im Schatten nicht hören. In solchen Situationen sollte man eher oberflächliche Spaßmusik hören. Lieber Robbie Williams als Beirut.
    Knapp zwanzig Minuten später hält ein Taxi neben mir, und Ingo steigt aus. Er schaut ziemlich zornig drein. Ohne viel zu sagen, verfrachtet er unser Gepäck in den Kofferraum. Ich setze mich zu ihm auf die Rückbank.
    »Und was jetzt?«, fragt er.
    »Was, was jetzt?«
    »Wir haben noch Zeit.«
    »Und?«
    »Kaffee geht sich aus.«
    »Could you bring us to the next bar, please?«
    Der Fahrer mustert misstrauisch mein geschundenes Gesicht, schüttelt den Kopf und legt einen solchen Start hin, dass ich in den Sitz hineingedrückt
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