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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich
Autoren: Peer Steinbrück
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inspirierendsten Vordenker der SPD, im Jahr 2003. Mit diesen Sätzen begründete er seine Botschaft, dass die SPD ohne eine neue Theorie des Wohlfahrtsstaates nicht mehr regierungsfähig werde.
    Wenn daraus die Einsicht erwächst, dass die SPD mit der bloßen Mobilisierung ihrer traditionellen (schrumpfenden) Bataillone und einem ihnen entsprechenden Personalangebot keine gestaltungsfähigen politischen Mehrheiten mehr gewinnen kann, dann schließt sich eine weit brisantere und für die Partei potenziell tödliche, aber unvermeidbare Frage an: Kann die SPD die frustrierten Langzeitarbeitslosen mit einem Politikangebot auf ihre Seite bringen, das nicht gleichzeitig mit den Erwartungen anderer Wählerschichten so stark kollidiert, dass daraus nicht einmal mehr ein Nullsummenspiel entsteht?
    Ich glaube, dass der SPD ein höchst unliebsames Eingeständnis bevorsteht. Tobias Dürr zufolge gibt es einen Wählertypus - männliche (Langzeit-)Arbeitslose, geringqualifizierte Arbeiter, Gewerkschaftsmitglieder im Alter von Mitte 40 bis Ende 50 -, der der SPD ziemlich unversöhnlich gegenübersteht und nicht mehr zurückzugewinnen ist - höchstens um den Preis einer völligen Verbiegung der Partei. In den jüngsten Wahlkämpfen haben sich alle Versuche, diese Wähler zu erreichen, als ziemlich erfolglos erwiesen. Zum einen haben sie die sozialdemokratische Reformpolitik der vergangenen Jahre als fundamentalen und unverzeihlichen Angriff auf ihre Interessen wahrgenommen. Zum anderen steht ihnen mit der Linkspartei eine inzwischen etablierte politische Formation als Alternative zur Verfügung, die sich geradezu darauf verlegt hat, die Verbitterung genau dieser Wählergruppen zu bestätigen und zu verstärken. Dagegen wird die SPD kaum konkurrieren können, wenn sie den Kontakt zur Mitte der Gesellschaft nicht verlieren will.
    Wenn diese Betrachtung zwar unbequem, aber nicht falsch ist, dann ergibt sich daraus wahlstrategisch zweierlei. Erstens: Die SPD überlässt der Linkspartei ihre rund 10 Prozent bundesweit, von denen sie ihr kaum etwas abjagen kann. Zweitens: Sie verlegt sich auf die fetteren Weiden, die ihr schon Peter Glotz in Aussicht gestellt hat. Das bedeutet eine Öffnung der SPD gegenüber den Facharbeitern der modernen Industrien, den Wissensarbeitern, Mittelständlern, disponierenden Eliten, zivilgesellschaftlichen Organisationen, berufstätigen Frauen, gegenüber dem aufgeklärten Bürgertum, dem der dumpfbackige und konservative Teil der CDU zu viel und der eindimensionale Liberalismus der FDP zu wenig ist. Das heißt nicht, das Verhältnis zwischen Gebenden und Empfangenden im Solidaritätsbündnis zu vernachlässigen. Im Gegenteil: Daraus könnte eine neue Achse geschmiedet werden. Gegen die »opinion leaders« in einer Leistungs- und Wissensgesellschaft aber, das hat schon Peter Glotz den Sozialdemokraten ins Stammbuch geschrieben, lässt sich nur in Ausnahmesituationen regieren.
    2.Dementsprechend muss die SPD eine nach mehreren Seiten offene Politik konzipieren und Politiker präsentieren, die in die teils heterogenen Wählerschichten hineinwirken können. Sie wird Eliten fördern und Chancengerechtigkeit für Kinder aus bildungsfernen Schichten herstellen müssen. Sie wird die Wettbewerbsfähigkeit stärken und für soziale Teilhabe und Absicherung sorgen müssen. Sie wird Minderheiten schützen und Mehrheiten zur Geltung bringen müssen. Sie wird Leistung belohnen und Solidarität organisieren müssen. Sie wird Transferempfänger fördern und fordern müssen. Sie wird Unternehmen zur Erfüllung ihrer Gemeinwohlpflichten ermahnen und ihnen (hoffentlich) gute Gewinne ermöglichen müssen. Sie wird Umweltstandards festlegen und die industrielle Basis unseres Landes erhalten müssen. Sie wird staatliche Daseinsvorsorge betreiben und das Ehrenamt und Stiftungswesen kultivieren müssen. Sie wird für ein robustes Sozialversicherungssystem sorgen und zu mehr Eigenvorsorge anhalten müssen. Sie wird Spielregeln für das Zusammenleben erlassen und Freiheitsräume wahren müssen. In diesem Sowohl-als-auch - nicht in dem digitalen Verständnis von guten Armen und bösen Reichen, profitsüchtigen Managern und ausgebeuteten Arbeitnehmern, integrationswilligen Migranten und ausländerfeindlichen Einheimischen, ökologischen Gutmenschen und industriellen Betonköpfen - wird die Klammer zu finden sein, die eine politische Mehrheit zusammenfasst.
    3.Keines der Themen, die maßgeblich und durchdringend die Zukunft unserer
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