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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich
Autoren: Peer Steinbrück
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wurde als eine Kehrtwende verstanden, von den einen begrüßt als »defensives Reset« auf die Zeit und das Verständnis von Gerechtigkeit vor 1998 (Neue Mitte) und 2003 (Agenda 2010), von den anderen missbilligt als Selbstdistanzierung und Abdankung von dem Anspruch, die politische Kraft der Erneuerung zu sein. Kurt Beck weckte mit seinem Kurs und seiner Rhetorik, die beide linker waren als er selbst, Begehrlichkeiten, die auf eine weitergehende Revision der Arbeitsmarkt- und Sozialreformen abzielten. In dem verständlichen und respektablen Bemühen, die Wunden und Zerwürfnisse der SPD aus der Regierungszeit von 1998 bis hinein in die ungeliebte große Koalition zu heilen und sie mit dem neuen Hamburger Grundsatzprogramm wieder zu sammeln, gab er der Partei mehr nach, als dass er ihr notwendige Anpassungen abforderte. Deshalb war er der Kandidat des linken Flügels der Partei, der seinen Rücktritt mehr oder weniger einer Machenschaft des »Agenda-Clans« zuschrieb, und deshalb fühlte er sich wiederum als Parteivorsitzender von diesem linken Flügel wahrscheinlich besser verstanden, gefühlsmäßig eher angenommen und anständiger behandelt als von den »Modernisierern«, die ihm - einschließlich meiner Person - zu rational und mechanistisch erschienen. Vielleicht fürchtete er auch, dass wir die SPD überforderten. Paradoxerweise fühlte er sich als Parteivorsitzender eher dort zu Hause, wo er als bodenständiger, handwerklich geprägter und höchst erfolgreicher Landesvater gar nicht herkam und politisch auch nicht verortet war.
Sieben Empfehlungen für eine Revitalisierung der SPD
    Die SPD war immer eine Partei der Moderne, der Emanzipation und des Fortschritts. Sie war nie eine Partei der Zukunftsangst, Unmündigkeit und Verteidigung überholter Strukturen. Die SPD wird lernen müssen, die Welt und die Gesellschaft neu zu interpretieren, um dann zu definieren, was Fortschritt unter den Bedingungen des ökonomisch-technischen Wandels, der Demographie, der Pluralisierung und Individualisierung bedeutet. Nicht weniger unterliegt die Definition von Gerechtigkeit einem Zeitenwandel. Die weitgehende Fixierung von »linker« Politik auf den klassischen Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit, das nationalstaatliche Wohlfahrtsmodell und die Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit mag noch identitätsstiftend sein, reicht aber nicht mehr aus, um die Komplexität und die Veränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft zu erfassen.
    Die SPD muss sich auf die Suche nach einem mitreißenden Mobilisierungsthema machen. Das findet sich nach meiner Einschätzung in einem Rahmen, der abgesteckt ist durch die Zähmung des internationalen Finanzkapitalismus auf der einen und die Fortentwicklung des europäischen Gesellschafts- und Wohlfahrtsmodells auf der anderen Seite. Die SPD muss zeigen, dass dieses Modell mit seiner Freiheit, seiner Nachhaltigkeit, seiner sozialen Qualität und seiner ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit Anziehungskraft ausübt.
    Im Einzelnen gehen mir sieben Empfehlungen zur Revitalisierung der SPD durch den Kopf.

    l. Die SPD wird vielfach wahrgenommen als eine Partei der Verlierer und der Zukurzgekommenen. Einige ihrer Strategen sind sogar davon überzeugt, dass die Modernisierungsverlierer im Mittelpunkt von Programm und Politik zu stehen hätten und sich aus der Vertretung ihrer summierten Interessen politische Mehrheiten gewinnen ließen. Erstens gelingt das nicht, und zweitens ist das alles andere als eine attraktive Botschaft. Abgesehen davon könnte die SPD kaum Schutzmacht dieser Verlierer sein, wenn sie nicht gleichzeitig Schutzmacht derjenigen in der Mitte der Gesellschaft ist, deren Bereitschaft zur Solidarität sie mit einer Leistungsidee gewinnen muss.
    »Wenn die SPD ... wirklich >strategisch< denken will, muss sie zuerst die Klassenstruktur des digitalen Kapitalismus intelligent analysieren. Mit dem Denkmuster >wir hier unten, ihr da oben< hat sie keine Chance mehr. Eine sozialdemokratische Partei wird kaum jemals eine Mehrheit unter den disponierenden Eliten gewinnen, die heute aus >Wissensarbeitern< bestehen. Wenn sie dort aber nicht wenigstens eine spürbare Minderheit überzeugt, wird sie unfähig sein, die Gesellschaft zu gestalten. Sie darf den produktivistischen Kern der Gesellschaft nicht vergessen, missachten oder rechts liegen lassen. Sie braucht die Leute, die Projekte machen, Risiken eingehen und sich schinden.« Das schrieb kein Geringerer als Peter Glotz, einer der
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