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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich
Autoren: Peer Steinbrück
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braucht, um einen Satz von Wolfgang Clement zu variieren.

    Zwischen dem Herbst 2007 und dem Herbst 2008 erschien mir der Gedanke keineswegs absurd, dass die SPD in eine Situation kommen könnte, in der sie sich selbst zerlegt. Es wäre nicht das erste Mal in ihrer Geschichte gewesen. Mit Oskar Lafontaine an der Spitze der Linkspartei gab es ja »einen bereits Realität gewordenen Teil [eines] Schismas« (Kurt Kister), das aber ebenso auf der anderen Seite des politischen Spektrums der SPD vorstellbar war. In diesen zwölf Monaten trat der Grundkonflikt der SPD über verschiedene Reform-, Bündnis- und Parteikonzepte aus der Kulisse und wurde auf der Bühne zum Entsetzen oder zum Vergnügen des Publikums ausgetragen.
    Mit einer Zuspitzung, die vieles für sich hatte, ging es letztlich um die uralte, die Gemüter immer wieder neu erhitzende Frage, wie links die SPD ist und sein soll. Sie ächzte in dieser Zeit unter dem Erbe der Agenda 2010 und war eingeklemmt zwischen einer Partei links von ihr, die in Westdeutschland Fleisch aus ihrem eigenen Fleische war, und einem Seniorpartner in der Regierung, der immer massiger die politische Mitte zu besetzen suchte. Aber was ist »links« Anfang des 21. Jahrhunderts? Und reicht es für Gestaltungsmehrheiten, »links« zu sein?
    Die SPD war über ihren ohnehin schon beachtlichen Standard hinaus mit sich selbst beschäftigt und konnte, obwohl sie den besseren Teil des Kabinetts stellte, in einer großen Koalition unter einer damals unangefochtenen Bundeskanzlerin nicht punkten. Die Ereignisse rund um das SPD-Treffen am Schwielowsee mitsamt dem denkwürdigen Rücktritt von Kurt Beck als Parteivorsitzendem Anfang September 2008 wirkten wie ein Schock, der vielen bewusst machte, wie weit die SPD bereits auf der Rutschbahn war. Die Flügel, Lager, Sektionen, Freundeskreise, Arbeitsgemeinschaften, gruppendynamischen Wochenendtreffen, Vorbesprechungszirkel - wie immer man sie nennen will - wirkten wie paralysiert und nahmen tatsächlich einen Moment lang von Winkelzügen, Hintergrundbeatmungen und Personalspielen Abstand. Dies war der gemeinsamen Erkenntnis geschuldet, dass sonst der Hammer allesamt erwischen würde.
    Diese Geschlossenheit war nicht selbstverständlich - nach der Dramatik des Sonntagsausflugs der SPD-Spitze mit historischen Dialogen, die auf einem Bootssteg geführt wurden, weil man von einer Hochzeitsgesellschaft aus dem Lokal vertrieben worden war. Nach dem Rücktritt von Kurt Beck und der Nominierung von Franz Müntefering als (zurückgerufenem) Parteivorsitzenden und Frank-Walter Steinmeier als Kanzlerkandidat noch während der Klausur am Schwielowsee erachteten einige Vertreter des linken Flügels der SPD-Führung meine Person als einen angemessenen Preis für ihre Zustimmung. Nach ihren Vorstellungen war das Gespann Müntefering, Steinmeier und Steinbrück zu einseitig, weshalb ich als stellvertretender Parteivorsitzender von manchen ausgebootet und - nach meiner Erinnerung - Klaus Wowereit eingecheckt werden sollte. Das verlor sich dann recht schnell. Es trieb mich auch nicht weiter um, weil ich für den Fall, dass eine solche Initiative über das Stadium einer Anwandlung hinaus Fahrt aufgenommen hätte, sehr entschieden war, auch als Bundesfinanzminister von der Mannschaftsliste der SPD zurückzutreten.
    Der Schock der Tagung am Schwielowsee Anfang September 2008 konsolidierte die SPD erkennbar auf der letzten Strecke der Legislaturperiode. Aber das Bild der Uneinheitlichkeit und Zerrissenheit, des Hadems mit sich selbst über ein Reformerbe und einer Regierungsarbeit ohne erkennbare Dividende hatte sich im kollektiven Bewusstsein eingeprägt, sodass, der neuen Konsolidierung ungeachtet, der Weg zu dem schlechtesten Ergebnis der SPD bei einer Bundestagswahl seit 1949 exakt zwölf Monate später vorgezeichnet war. Auch dieses Wahldebakel hat die SPD erfreulicherweise nicht aus den Angeln gehoben. Sie scheint vielmehr geschlossener - was in der Opposition auch leichter zu bewerkstelligen ist - und nach einem geglückten Einstand von Sigmar Gabriel als Parteivorsitzendem auf dem Dresdner Parteitag im November 2009 und einer substanziell wahrgenommenen Oppositionsrolle unter Frank-Walter Steinmeier auf dem Weg einer Revitalisierung. Aber ist das vornehmlich ihrer wieder gewachsenen Stärke oder der eklatanten Schwäche der schwarz-gelben Koalitionsregierung zu verdanken? Ferner bleibt die Frage nach der Virulenz der Grundkonflikte der SPD und nach ihrer
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