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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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Delegierten auf Parteitagen und Parteikonferenzen, die aber wiederum nur einen Bruchteil der Parteiaktiven darstellen. Und wenn es nötig und hilfreich ist, beziehen sich manche in Wirklichkeit auf die Mitglieder des Freundeskreises oder der Glaubenssektion, der sie selbst vorstehen, wenn sie von »der« Basis sprechen.
    Diese unbestimmte Basis geistert durch die Spitzengremien der SPD als graue Eminenz. Sie wird häufiger beschworen, als sie es selbst - wer auch immer sie im Einzelnen sein mag - für möglich hält. Meistens wird sie in Anspruch genommen, um einen lästigen oder ungelegenen Vorstoß abzublocken. Das hat den Vorteil, dass man einer direkten Konfrontation ausweichen kann. Die Berufung der Basis soll einen roten Faden legen. Davon abzuweichen hieße, sich dem Blitz eines geballten Grolls auszusetzen. Wer in höchster Not »die Basis« anruft, stellt sich sakrosankt. Und derjenige, der diese letzte Instanz nicht anerkennt, begeht ein Sakrileg.
    Natürlich ist es für jeden herausgehobenen Mandats- und Funktionsträger der SPD unabdingbar, den Pulsschlag und die Gemütslage dieser Basis in Gestalt der Parteiaktivisten vor Ort zu kennen. Sie berichten über die Anwürfe aus der Bevölkerung, denen sie an den Ständen auf Marktplätzen und in Veranstaltungen ausgesetzt sind. Auch ihre Vorstellungen darüber, welche Stabilitätsanker der Partei auf keinen Fall reißen dürfen, sind nicht unwichtig. Ebenso ist die Mobilisierung dieser Basis zweifellos eine notwendige Bedingung, um in Wahlkämpfen zu bestehen. Auf der anderen Seite kann sich die Rolle des Spitzenpersonals nicht darin erschöpfen, als Sanitäter die Wunden der »Fußtruppen« zu verbinden, als Animateure die Motivation der Basis zu heben oder als Boten über die jeweiligen Stimmungspegel zu berichten. Das hat noch nichts mit Führung zu tun.
    Zu viele Vorstandsmitglieder der SPD auf den verschiedenen Stufen der Parteiorganisationen verstehen sich weniger als »Vorstandsmitglieder« oder »Vorsitzende«, sondern eher als reine Sprecher. Sie berichten aus den Ortsvereinen und Unterbezirken. Und sie beschränken sich auch in umgekehrter Richtung häufig darauf, die Ereignisse und Meinungsbildungen »höheren Orts« in den Ortsvereinen und Unterbezirken nur zu rapportieren. Sie sind mehr Berichterstatter als Vorsteher - zu wenig Avantgarde. Ich habe unzählige Begegnungen mit Mandats- und Funktionsträgern hinter mir, die mir achselzuckend entgegenhielten: »Das macht die Basis nicht mit« oder »Das kommt bei der Basis gar nicht gut an«. Die Frage nach ihrer Sicht, ihrer Überzeugung und auch ihrer Bereitschaft, sich gegen eine Strömung zu exponieren, war nicht opportun.
    Führung ist in der SPD anscheinend ein Begriff geworden, der Verunsicherung auslöst. Zu offensichtlich war der Personalverschleiß, zu massiv das Urteil, die SPD leide an einem Verfall ihrer Führungskraft. Zu häufig fehlte der Parteikontext für sozialdemokratisches Regierungshandeln. Zu laut war die Klage über eine unzureichende Beteiligung der »Fußtruppen«. Zu tief war die »Basta-Politik« in die Knochen der Partei gefahren. Und zu häufig fassten Führungsgremien der SPD mit großer Mehrheit, wenn nicht einmütig, Beschlüsse, die in den Köpfen einiger Befürworter bereits eine logische Sekunde danach wieder offen waren für Änderungen in die eine oder andere Richtung.
    Die Bereitschaft von Mandats- und Funktionsträgern auf allen Ebenen, sich lieber rechtzeitig den gängigen Überzeugungen anzuschließen, als die Organisation zum Verlassen alter Gleise aufzufordern, korrespondiert mit dem Interesse, durch ebendiese Parteiorganisation wieder aufgestellt zu werden. Das hält den Prozess der ständigen Selbstbestätigung in Gang. Erfolgreiche Führung kann sich darin ebenso wenig erschöpfen wie in der bloßen Zufriedenheit darüber, dass die Organisation arbeitsfähig gehalten wird. Sie erweist und beweist sich vielmehr darin, dass es ihr gelingt, die Partei als Ideenbörse, mit ihrem Politik- und Personalangebot, in ihrem medialen Auftritt und dem richtigen Wort zum richtigen Zeitpunkt so attraktiv zu machen, dass sie Zustimmung gewinnt. Führung erschöpft sich nicht im bloßen Dienen. Natürlich wird sie sich von den Parteiorganisationen nicht so weit entfernen dürfen, dass der Blickkontakt verlorengeht und das spirituelle Band zerschnitten wird. Aber Führung darf nicht als Erstes fragen, was die SPD verkraften kann, und darüber vergessen, was das Land

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