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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg
Autoren: Haruki Murakami
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Allerdings muss man, um von ihnen eingestellt zu werden, in einer Gegend wohnen, die an diesen Linien liegt. Und schon mal bei ihnen gejobbt haben. Ziemlich streng, was?
    Von Anfang an wollte ich gerne in der U-Bahn arbeiten. Oder überhaupt bei einer U-Bahn-Gesellschaft. Außerdem zahlen die Bahnen im Vergleich zu anderen Firmen gar nicht schlecht.
    Zur Arbeit auf einer U-Bahn-Station gehören viele Aufgaben. Nicht nur Fahrkartenverkauf, Bahnsteigaufsicht und so, auch die Betreuung von Fahrgästen, die etwas verloren haben. Manchmal muss man auch Streitigkeiten zwischen den Fahrgästen schlichten, also eine Menge verschiedener Dinge. Es war ganz schön anstrengend, das alles mit achtzehn plötzlich machen zu müssen. Deshalb kam mir meine erste volle Schicht auch unheimlich lange vor. Nach dem letzten Zug ließ ich die Rollläden mit einem Seufzer der Erleichterung runter: »Das war’s für heute.« Jetzt geht es mir nicht mehr so, das war nur am Anfang.
    Am schlimmsten finde ich die Betrunkenen. Entweder sie wollen Freundschaft schließen, fangen Streit an oder kotzen alles voll. Kasumigaseki ist ja kein Vergnügungsviertel, deshalb kommt so was bei uns zum Glück eher selten vor, aber manchmal eben doch.
    Murakami: Wollten Sie nicht ursprünglich Fahrer werden? Haben Sie eine Fahrprüfung abgelegt?
    Nein, habe ich nicht. Ich hatte mehrmals die Gelegenheit und habe es auch erwogen, mich dann aber dagegen entschieden. Nach dem ersten Jahr gab es eine Prüfung für Fahrer, die viele gemacht haben, aber weil ich mich nach dem einen Jahr schon so an die Arbeit in der Station gewöhnt hatte, habe ich dann doch nicht teilgenommen. Wie gesagt, es gibt zwar Betrunkene und ein paar andere Sachen, die ich nicht mag, aber ich wollte trotzdem lieber noch eine Weile auf dem Bahnhof arbeiten. Wahrscheinlich hat sich mein Traum, Fahrer zu werden, durch die Arbeit auf dem Bahnhof allmählich verflüchtigt.
    In Kasumigaseki treffen die drei Linien Marunouchi, Hibiya und Chiyoda zusammen. Jede hat ihr eigenes Personal. Ich war damals bei Marunouchi. Das Hibiya-Büro ist das größte, aber Marunouchi und Chiyoda haben auch ihre eigenen Dienst- und Personalräume.
    Am Sonntag vor dem Sarin-Anschlag am 20. März schob ich eine volle Schicht für die Chiyoda-Linie. Sie hatten nicht genug Leute zur Verfügung, und ich bin eingesprungen. Über Nacht muss immer eine vorgeschriebene Anzahl von Personal anwesend sein. Damit das klappt, helfen wir gegenseitig aus, wie in einer Familie.
    Um 23.30 lassen wir die Rollläden runter, schließen die Schalter, machen die Fahrkartenautomaten aus, waschen uns und machen gegen ein Uhr Schluss. Die frühere Schicht hört gegen 23.30 auf und schläft ab ca. 24.00. Die Frühschicht steht um 4.30 Uhr wieder auf und die spätere um 5.30. Die erste Bahn fährt um 5.00.
    Wir stehen auf, waschen uns, ziehen die Rollläden hoch und öffnen die Fahrkartenschalter. Dann wechseln wir uns ab mit Frühstücken. Den Reis und unsere Misosuppe kochen wir selbst. Die Essensvorbereitung gehört zu unseren Pflichten. Wir essen alle am gleichen Tisch, wie man so sagt.
    An dem Tag gehörte ich zur späteren Schicht. Also stand ich um halb sechs auf, zog meine Uniform an und war um 5.55 am Fahrkartenschalter. Ich arbeitete bis sieben und ging dann von sieben bis halb acht zum Frühstück. Danach hatte ich bis Viertel nach acht Dienst an einem anderen Schalter. Dann machte ich Schluss.
    Als ich gerade auf dem Weg ins Büro war, kam mir Stationsvorsteher Matsumoto mit einem Putzlappen entgegen. »Was haben Sie denn vor?« fragte ich ihn. Er müsse einen Waggon reinigen, antwortete er. Weil ich sowieso fertig war und die Hände frei hatte, bot ich meine Hilfe an. Herr Matsumoto und ich fuhren mit der Rolltreppe hinauf zum Bahnsteig.
    Dort trafen wir die Kollegen Toyoda, Takahashi und Hishinuma, die mit irgendwelchen durchweichten Zeitungen herumhantierten. Sie stopften sie mit den Händen in Plastiktüten. Aus ihnen troff eine Flüssigkeit auf den Boden, die Herr Matsumoto mit dem Lappen aufwischte. Weil ich keinen Lappen hatte und der größte Teil der Zeitungen schon in den Plastiktüten war, gab es nichts zu helfen. Ich stand dabei und sah zu.
    Ich überlegte, was die Flüssigkeit wohl sein konnte, hatte aber keine Vorstellung. Es roch sehr stark nach irgendwas. Herr Takahashi ging zu einem Mülleimer am Ende des Bahnsteigs, wahrscheinlich, um noch mehr Zeitungen zum Aufwischen zu besorgen. Plötzlich brach er vor dem
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