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Untergang

Untergang

Titel: Untergang
Autoren: Jérôme Ferrari , Aus dem Französischen von Christian Ruzicska
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Freundschaft und hielt ihm dabei die Hand, und diese Freundschaft war ohne Ursprünge und ohne Ende. Virgile nickte von Zeit zu Zeit. Libero ließ ihn allein auf der Terrasse. Er sagte zu Gratas, dass er abhauen und zu Virginie losziehen könne und goss zwei Gläser ein. Eines reichte er Matthieu.
    »Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee war, ihn so zu erniedrigen.«
    »Was blieb mir andres übrig? Und er ist mir egal, dieser Depp, wenn er seine Abreibung bekommen will, werde ich sie ihm verabreichen, und damit hat sich’s. Ich werde sie ihm sogar verabreichen, wenn er sie nicht will.«
    Die Nacht vom Ende der Welt war ruhig. Kein berittener Vandale. Kein kriegerischer Westgote. Keine Jungfrau mit aufgeschlitzter Kehle in brennender Behausung. Libero machte die Kasse, die Pistole lag auf dem Tresen. Mag sein, dass er nostalgisch an seine Studienjahre dachte, an die Texte, die er verbrennen wollte auf dem Altar der Dummheit der Welt und deren Widerhall ihn doch noch immer erreichte.
    Denn Gott hat für Dich nur eine verderbliche Welt geschaffen und Du selbst bist dem Tode versprochen
.
    Ein Wagen parkte vor der Bar. Pierre-Emmanuel stieg aus ihm aus. Er war allein. Er hielt an der Terrasse an und schaute Libero durch die offene Tür hindurch an. Aber er versuchte nicht, reinzugehen. Er näherte sich Virgile Ordioni, fuhr ihm durchs Haar und sagte in heiterem Ton: »Es ist Zeit zu ficken«, und ging in Richtung Wohnung der Kellnerinnen. Libero senkte die Augen zur Kasse. Draußen waren dumpfe Schläge zu hören und ein Gebrüll, schriller als das Kreischen der Rätschen zur Finstermette. Libero lief aus der Bar, die Pistole in der Hand, gefolgt von Matthieu. Die Straßenlaternen waren ausgeschaltet, aber sie sahen im Mondlicht mitten auf der Straße den massiven Schatten von Virgile Ordioni über Pierre-Emmanuel gebeugt, der nicht aufhörte zu brüllen. Virgile hatte sich ihm auf die Brust gesetzt und ihm entlang des Körpers die Arme eingeklemmt, Pierre-Emmanuels Beine schlugen hart gegen den Asphalt, er hatte einen Schuh verloren und schlug mit den Lenden heftig, aber vergeblich aus, um sich zu befreien, und Virgile schnaubte wie ein wütender Stier durch die Nase, zog ihm die Hose über die Schenkel und zerriss dann den feinen Stoff seiner Unterhose, und Matthieu war unfähig, sich zu bewegen, er schaute auf das Geschehen mit den Augen einer Statue, und Libero warf sich Virgile auf die Schultern, versuchte, ihn umzukippen, und schrie auf ihn ein: »Virgile! Hör auf! Hör auf!«, aber Virgile kippte nicht um und er hörte nicht auf, er schien sich linkisch zu schütteln, er warf einen Arm nach hinten und Libero lag platt auf der Straße, das Gesicht zu den Sternen gerichtet, und Virgile schlug mit seinen großen geballten Fäusten in Pierre-Emmanuels Beine und drückte ihm mit einer Hand die Knie auf den Boden, während er mit der anderen ein Klappmesser, das er aus der Tasche gezogen hatte, aufspringen ließ, und Libero stellte sich ihm gegenüber auf und schrie ihn an: »Hör auf! Hör auf!«, aber die ständigen Flügelbewegungen des Messers verhinderten, dass er sich ihm nähern konnte, er ging von hinten auf Virgile zu, in genau dem Moment, als Pierre-Emmanuel aus Leibeskräften zu brüllen begann, da er den Kontakt der kalten Klinge mit seinem Unterleib spürte, und Libero hämmerte mit schweren Schlägen auf die Schultern und den Nacken von Virgile, der davon unbeeindruckt blieb und einfach nur weit auszuholte, als würde er eine Fliege verjagen, bevor er dann mit den Fingerspitzen Pierre-Emmanuels Schritt zu durchsuchen begann, an den er erneut das Messer legte, bevor er sich, da Libero ihn störte, anders besann, und ihn erneut zur Erde schickte mit einem nach hinten ausschlagenden Arm, und Libero ging auf die Knie und hörte Pierre-Emmanuel ein Brüllen ausstoßen, das nichts Menschliches mehr hatte und ihm das Blut gefrieren ließ, er warf einen eindringlichen Blick auf den noch immer erstarrten Matthieu und fing noch einmal an zu schreien: »Virgile! Ich flehe dich an! Ich flehe dich an!«, aber er schrie vergeblich, das Brüllen zerschnitt die Nacht, und Libero stand mit einem Male auf und lud die Pistole und streckte den Arm aus, gerad von sich weg, und schoss in den Kopf von Virgile Ordioni, der zur Seite stürzte. Pierre-Emmanuel befreite sich kriechend, als entkäme er den Flammen, und blieb hocken, mit runtergelassener Hose, an allen Gliedern zitternd und wimmernd, ohne aufhören zu können. Er
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